Presserat rügt STANDARD wegen eines Berichts über eine Vergewaltigung Der österreichische Presserat hat den STANDARD für einen Artikel über eine Vergewaltigung gerügt. Mit der Berichterstattung habe man gegen den Ehrenkodex der heimischen Presse, konkret die Punkte 5 (Persönlichkeitsschutz) und 6 (Intimsphäre), verstoßen, wurde am Donnerstag mitgeteilt. Seitens des Mediums hatte man sich zuvor bereits einsichtig gezeigt; das Verhalten nach dem Einleitungsbeschluss war für den Presserat "vorbildlich".

Am 6. Jänner war der Artikel "Die tödliche Vergewaltigung einer 20-Jährigen" erschienen, in dem über eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Wien berichtet wurde. Im Text wurde der Missbrauch einer Frau durch zwei Männer, an deren Folgen das Opfer schließlich auch gestorben ist, detailliert geschildert. Daraufhin hatten sich mehrere Leserinnen und Leser in dieser Causa an den Presserat gewandt, der Senat 1 leitete ein selbstständiges Verfahren ein. Die Medieninhaberin nahm an dem Verfahren teil und bezeichnete die Beschwerden gegen den Artikel als "berechtigt".

Zwar sind Berichte zum Thema Gewalt gegen Frauen aus Sicht des Senats für die Öffentlichkeit relevant, allerdings sei bei Schilderungen von konkreten Gewalttaten "stets auf die Würde und Intimsphäre der Opfer zu achten". "Das Leid, das die betroffenen Frauen und ihre Angehörigen erfahren, darf durch die Berichterstattung nicht vergrößert werden." Dass die Details der Tat in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft enthalten waren, befreie die Redaktion nicht davon, deren Veröffentlichung hinsichtlich des Persönlichkeitsschutzes entsprechend zu prüfen.

Intern diskutiert

Noch am selben Tag, an dem der Einleitungsbeschluss des Presserates in der Chefredaktion eintraf, wurde die Kritik intern diskutiert. "Der Bericht der Staatsanwaltschaft beschreibt diese unfassbar grauenhafte Gewalttat in besonders drastischer Weise. Unser Autor hat – auch in Zusammenarbeit mit anderen KollegInnen – den Bericht bereits in sehr deutlich zurückhaltenderer Weise wiedergegeben", schrieb STANDARD-Chefredakteur Martin Kotynek daraufhin an den Presserat: "Tatsächlich ist ein deutlicher Unterschied zwischen dem Bericht der Staatsanwaltschaft und unserem Bericht zu erkennen. Allerdings sind auch wir der Auffassung, dass unsere bereits deutlich abgemilderte Schilderung verstörend sein kann. Wir haben daher den Artikel noch am Montag geändert, diese Änderung in einer Infobox am Ende des Artikels transparent gemacht und reflektieren dies heute auch öffentlich in einer Sonderausgabe unserer Fehlerkolumne "Vermurkst", die online und in Print erscheint. In der Kolumne berichten wir auch über die Einleitung des Verfahrens und den Verhandlungstermin. Die Kolumne ist unter dem Artikel verlinkt."

Dass der Text im Nachhinein adaptiert und die beanstandeten Details entfernt wurden, begrüßte der Senat ebenso wie einen Hinweis auf die Veränderung sowie die transparente Kommunikation in dieser Sache seitens Medium wie Autor. Insgesamt bewertete der Senat das Verhalten der Medieninhaberin, des Chefredakteurs und des Journalisten im Nachhinein als "vorbildlich". Die "Schwere des Eingriffs in den Persönlichkeitsschutz des Opfers" erlaubte es dem Senat unter Vorsitz von Maria Berger jedoch nicht, von einem Verstoß gegen den Ehrenkodex abzusehen. (red, 4.5.2023)