Klangforum Wien im Rahmen des Projektes "Amopera".

Valerie Maltseva

Demnächst, ab dem 13. Mai, begegnet man dem Klangforum Wien bei den Wiener Festwochen im Rahmen des Projektes " Verwandlung eines Wohnzimmers" des japanischen Regisseurs Toshiki Okada und des Komponisten Dai Fujikura im Museumsquartier. Intendant Peter Paul Kainrath weiß aber auch Interessantes über die kommende Saison und spezielle Projekte zu berichten.

Standard: Wie entsteht so ein Zyklus, das Klangforum als Solistenensemble hat sicher eine ausgeprägte Meinung dazu?

Kainrath: Es kommt mitunter vor, dass die 24 Persönlichkeiten als künstlerisch pointiert denkende Musikerinnen und Musiker 24 unterschiedliche Ansichten in musikalischen Fragen haben. Aber in beinahe 40 Jahren Ensemblearbeit haben diese einen hohen Grad an Dialog- und konstruktiver Konsenskultur entwickelt. Das Ensemble bestimmt aus den eigenen Reihen eine 3-köpfige Dramaturgie, welche dann für einen gewissen Zeitraum die ästhetische Setzung der inhaltlichen Arbeit vorschlägt und auch gegenüber den Kolleginnen und Kollegen vertritt.

Standard: Ihr Gestaltungsfreiraum?

Kainrath: Der Intendant des Klangforum Wien ist ein kammerdienlicher – dies entspricht durchaus meinem Naturell – Zuarbeiter, Moderator und vielleicht auch Baumeister. Wir stellen uns zwar in Wien mit einem eigenen, sehr gut besuchten Zyklus im Wiener Konzerthaus dar, aber das Gros unserer Arbeit findet bei den unterschiedlichsten Festivals und Konzerthäusern Europas und nun bald wieder auch in Übersee statt; da fließt viel Gedankenarbeit in die Ermöglichung von Programmen, die einerseits den oft sehr artikulierten Vorstellungen der jeweiligen Veranstaltern und andererseits unserem selbstverständlicherweise sich ständig neu plasmierenden Begriff des Neuen in der Musik Rechnung trägt; damit ist auch der Zyklus zumindest zum Teil ein Spiegel unserer Arbeit draußen in der Welt. Der Intendant darf also gewissermaßen wie ein Architekt die Gebäude wie beispielsweise die METAOPER, SOLO oder auch die Doppelkonzerte errichten, welche dann von Dramaturgie und dem Ensemble mit sehr speziellen Inhalten beseelt werden.

Standard: Wenn ich Sie richtig verstehe, geht es bezüglich Weiterentwicklung des Ensembles auch um eine Art Öffnung und Prominenz siehe Ingo Metzmacher?

Kainrath: Es geht nicht um Prominenz. Das Klangforum Wien hat seit jeher mit außerordentlich starken Künstlerpersönlichkeiten gearbeitet. Was nun aber in einem sich verändernden Musikleben immer relevanter wird, ist aufzuzeigen, dass das Neue in der Musik alle angeht. Die Zeit der geschützten Werkstätten Neuer Musikszene neigt sich wohl dem Ende zu. Daher sind Persönlichkeiten wie Ingo Metzmacher, aufstrebende Dirigentinnen und polyästhetisch agierende Festivals für uns fundamental. Brückenbauer hinein in das – nennen wir es ruhig – philharmonische Publikum, profundes Interesse nicht nur für das Repertoire aller für uns heute relevanten Epochen der Musikgeschichte, sondern eben auch die Kenntnis der Mechanik der verschiedenen Bereiche des internationalen Musiklebens sind maßgeblich für die Weiterentwicklung des Klangforum Wien. Es geht um die Spielkraft dieses Ensemble, das sich immer wieder neuen Sichtweisen und Herausforderungen stellen will. Daher eben auch die Öffnung in alle vorstellbaren Richtungen. Die Lust auf Neues ist riesengroß.

Peter Paul Kainrath

Standard: Der Begriff neue Musik, wird der intern diskutiert?

Kainrath: Er wird heftig diskutiert und diese ständig auf den Prüfstand gestellten Selbstverortungen gehören mit zum Spannendsten in unserer Arbeit. Darin spiegeln sich so viele weltanschauliche Perspektiven, die weit über die Neue Musik hinaus eine Relevanz haben. Die Bedeutung von Historie und Tradition, notwendige Brüche, die Rolle der Institutionen in der Hervorbringung oder eben auch Verhinderung des Neuen. Das Neue ist ja nicht unbedingt immer gleichzusetzen mit Qualität oder gar Fortschritt, aber man bewegt sich bei der Hervorbringung dessen beinahe immer im offenen Gelände. Das macht das Spielen und Hören von Neuer Musik so extrem spannend.

Standard: Das Konzept der Doppelkonzerte plus Fermate im Konzerthaus, das hat sich bewährt?

Peter Paul Kainrath: Es war eine faszinierende Erfahrung und wir werden die Erkenntnisse daraus sicher in unsere künftigen Planungen einfließen lassen. Der Preis der Selbstausbeutung für die Musikerinnen und Musiker war jedoch erheblich. Wer beispielsweise Speicher von Enno Poppe an einem Tag zwischen Generalprobe und Doppelkonzert gleich drei Mal spielt, besteigt den Mount Everest. In einem Ausnahmezustand wie es die Pandemie war, kann man so einen Einsatz aufbringen, aber eben zeitlich beschränkt.

Standard: Noch Ideen zu neuartigen Konzertformarten?

Peter Paul Kainrath: Ich bin immer wieder aufs Neue fasziniert, welch wunderbare Wirkung die Ouverture spirituelle bei den Salzburger Festspielen entfaltet; die Co-Präsenz verschiedenster Epochen, von der Renaissance bis mitten hinein in unsere Gegenwart, und zur Aufführung gebracht von unterschiedlichsten Ensemblekonstellationen hat eine Farbigkeit, die weit über die konventionellen Konzertzyklen hinausreicht. Dieser Ansatz scheint mir auch für unsere Arbeit immer wichtiger zu werden. Das zweimalige Hören eines neuen Werkes ist ebenso etwas, was wir mittelfristig wieder ermöglichen wollen – vielleicht in künftig dreiteiligen Konzertformaten.

Standard: Das Motto der Saison ist "Ursprung", was muss ein Motto haben, um sinnvoll zu sein?

Kainrath: Es gibt unterschiedliche Herangehensweisen; die einen nehmen sich ein Motto vor und biegen alle möglichen Werkkonstellationen auf dieses hin und nicht immer ist dabei alles wirklich schlüssig; die anderen – wir zählen uns dazu – lassen zunächst einen möglichst freien Lauf der Programmfindung zu und versuchen dann den uns zunächst unbekannten, aber eben doch eingeschriebenen gemeinsamen Nenner zu finden; wir sind dabei selbst oft überrascht, welcher Themenhorizont sich ergibt. Mit "Ursprung" jedenfalls haben wir im neuen Zyklus sehr viel zu unserer Herkunft in unterschiedlichsten Schattierungen ins Programm genommen. Das Motto wird damit zu einem Kompass, der sich direkt aus der Zusammenschau der Werke ergibt.

Standard: Was hat es mit dem Projekt "The Tower of Babel" auf sich?

Kainrath: Musik – vor allem die zeitgenössische – ereignet sich nie in einem aseptisch-losgelösten Raum. In diesem absolut verwerflichen Krieg gegen die Ukraine wird nicht nur ein Volk geschunden, sondern es geht auch ein großer, imaginärer Kulturraum zu Grunde. Wir wissen vom enormen Leid, welche die sowjetische Diktatur damals verursacht hat; aber wir wissen auch von den sich der Macht entziehenden Künstlerpersönlichkeiten und Netzwerken vor allem in den unterschiedlichen Szenen der Musik des damaligen Riesenreichs.

Standard: Da geht es also um eine quasi verborgene Schicht an Beziehungsgeflechten?

Kainrath: Das hat sich nach dem Fall der Mauer im postsowjetischen Territorium fortgesponnen und die Positionen und Verstrebungen zwischen all diesen auseinanderdriftenden Staaten und Nationen sind künstlerisch gesprochen stark und auf unterschiedliche Weise miteinander verwoben geblieben. Mit "The Tower of Babel" begibt sich das Klangforum Wien auf eine Entdeckungsreise zu dieser Vielheit, forscht der oft atemberaubenden wie berührenden Schönheit dieses künstlerischen Schaffens nach. Diesen Raum gilt es trotz der aktuellen militärisch-kriminellen Aggression aufrecht zu halten.

Standard: Wie geht man mit den ökonomischen Anforderungen um, was braucht es , um zumindest Niveau zu halten?

Kainrath: Als eines der ganz wenigen Top-Ensembles Neuer Musik stehen wir in einem akzentuiertem Wettbewerb um die weltoffensten, neugierigsten und spielfähigsten Musikerinnen und Musiker. Dies muss man auch finanziell abbilden können und bringt uns in diesem inflationär verschärften Umfeld unter Druck. Die Stadt Wien hat bereits reagiert und wir stehen im Dialog mit ihr, eine räsonable Lösung zu finden. Bis dato konnten wir den zusätzlichen Finanzierungsbedarf über eine erhöhte Konzerttätigkeit und eben einer Zunahme drittfinanzierter Sonderprojekte bedienen. Langfristig birgt dies aber auch die Gefahr einer Überhitzung unseres Ensembles oder bedeutet eben eine Abnahme der Attraktivität für neu hinzukommende Musikerinnen und Musiker. (Ljubisa Tosic,5.5.2023)