Das Weltraumteleskop Gaia ist dabei, die detaillierteste Karte der Milchstraße zu erstellen, und hat bereits Milliarden Sterne vermessen.

Foto: Esa / ATG Medialab / Eso / S. Brunner

Vor knapp zehn Jahren ist das europäische Weltraumteleskop Gaia mit einer gigantischen Aufgabe ins All gestartet. Ziel der Mission ist nicht weniger als die Erstellung der bisher genauesten 3D-Karte der Milchstraße. Seither hat Gaia Milliarden von Sternen in unserer Galaxie erfasst und deren Position, Eigenbewegung, Entfernung und Helligkeit vermessen – präziser als je zuvor. Vier Sternenkataloge hat die Europäische Weltraumorganisation (Esa) seither veröffentlicht, mit Daten zu mehr als einer Milliarde Sterne. Das jüngste und bisher größte Update erfolgte im vergangenen Sommer mit der Veröffentlichung von Daten zu 1,8 Milliarden Objekten.

"Die von Gaia gesammelten Beobachtungen definieren die Grundlagen der Astronomie neu", freute sich der deutsche Astrophysiker Günther Hasinger, bis Ende 2022 Esa-Direktor für Wissenschaft, über den Datenschatz des Weltraumteleskops. Dank dieser Beobachtungen können Astronominnen und Astronomen nicht nur neue Informationen über die Struktur und Entwicklung unserer Galaxie gewinnen und mehr über die Sternenentstehung herausfinden. Gaia hält auch nach Asteroiden, Exoplaneten und Schwarzen Löchern Ausschau.

Tausende Publikationen

Allein in der jüngsten Veröffentlichung wurden 156.000 Asteroiden erfasst, von denen knapp 400 besonders genau unter Beobachtung stehen, da sie die Erdbahn kreuzen. Auch Hinweise auf mehrere Hundert Exoplaneten lieferte Gaia bislang – und dabei dürfte es nicht bleiben: Fachleuten zufolge könnte die nächste und noch detailreichere Datenpublikation sogar Hinweise auf zehntausende Planeten liefern, die um andere Sterne kreisen.

Wie viel es in den bereits publizierten Katalogen zu entdecken gibt, führen jährlich weit über tausend wissenschaftliche Publikationen vor Augen. Erst vor wenigen Wochen wurden im Gaia-Archiv etwa die beiden erdnächsten Schwarzen Löcher identifiziert, die jemals beobachtet wurden. Das nähere der beiden ist "nur" 1.560 Lichtjahre von uns entfernt, in kosmischen Maßstäben ist das ein Katzensprung.

Katalog der Sterne

Die Esa, zu deren Budget auch das österreichische Klimaministerium beiträgt, macht alle Daten ihrer wissenschaftlichen Missionen frei zugänglich. Bei einem Megaprojekt wie der Himmelskartierung durch Gaia ist das naturgemäß eine Herkulesaufgabe, sagte Ruben Alvarez, der für die IT des wissenschaftlichen Archivs am Weltraumastronomiezentrum der Esa (Esac) bei Madrid zuständig ist.

Voraussichtlich 2027 soll der Gesamtkatalog der Mission vorliegen, Alvarez schätzt, dass das Weltraumteleskop bis dahin mehr als zwei Petabyte an Daten geliefert haben wird, also über zwei Millionen Gigabyte. Zum Vergleich: Die europäische Raumsonde Rosetta, die zwischen 2014 und 2016 den Kometen Tschurjumow-Gerassimenko untersuchte und einen Lander erfolgreich auf dem Himmelskörper absetzte, lieferte rund 220 Gigabyte an Daten.

Komplexe Datenverarbeitung

Insgesamt gebe es zahlreiche Faktoren, die beeinflussen, wie viele Daten eine wissenschaftliche Weltraummission sammeln und zur Erde senden kann, sagte Alvarez kürzlich bei einer Veranstaltung, die vom Datenmanagementunternehmen Netapp organisiert wurde. Die Tendenz sei jedoch klar: Es werde immer mehr. "Die größte Herausforderung ist weniger die Speicherung als die Datenverarbeitung, aber auch die Bereitstellung an die wissenschaftliche Community ist keine einfache Aufgabe", sagt Alvarez.

Das Esac archiviert alle Daten aus wissenschaftlichen Weltraummissionen der Esa und stellt sie Forschenden weltweit dauerhaft zur Verfügung. Die täglich eintreffenden Rohdaten, aktuell sind es rund 16 Terabyte pro Tag, müssen erst verarbeitet und gespeichert werden, ehe sie im Archiv landen. Allein an der Datenverarbeitung der Gaia-Mission sind mehr als 400 Expertinnen und Experten aus über 50 Ländern beteiligt. Um den Ablauf reibungslos zu gestalten und dann die dauerhafte Verfügbarkeit der Daten gewährleisten zu können, setzt die Esa unter anderem auf Lösungen der Firma Netapp. "Unsere wissenschaftlichen Daten werden auf täglicher Basis benötigt, dafür brauchen wir sicheres, skalierbares Datenmanagement mit zuverlässiger Leistung", sagte Alvarez.

Streifzug durch die Galaxie

Wie wichtig die Skalierbarkeit ist, lässt der Blick auf weitere Missionen der Esa erahnen. Im Juli soll beispielsweise mit Euclid ein weiteres europäisches Weltraumteleskop starten und mehr als ein Drittel des Himmels systematisch erkunden. Das Ziel der Mission ist es, mehr über die rätselhafte Dunkle Materie und Dunkle Energie im Universum herauszufinden, deren Existenz sich bisher nur indirekt nachweisen lässt. Auch dabei werden große Datenmengen anfallen – im Vergleich mit den Messungen des Esa-Erdbeobachtungsprogramms verblasst das Volumen aber: Der Anteil der jüngsten Generation an Wetter-, Klima- und Umweltsatelliten am Esa-Datenschatz wächst viel schneller. Alvarez schätzt, dass das heute rund acht Petabyte große wissenschaftliche Esa-Archiv schon in der näheren Zukunft 20 Petabyte umfassen wird.

Zugänglich sind die Daten der Esa übrigens auch für interessierte Laien: Die Website sky.esa.int erlaubt einen wissenschaftlichen Streifzug durch die Milchstraße und bietet Messdaten zu Millionen kosmischen Objekten. Auch dazugehörige wissenschaftliche Publikationen lassen sich anzeigen. "Wir nennen unsere Website die Bibliothek des Universums, weil wir das Wissenschaftsarchiv all unserer Missionen aufbewahren", sagte Alvarez. "So ermöglichen wir es den Menschen, das Universum wirklich zu erforschen." (David Rennert, 11.5.2023)