Die Bauarbeiten zum U2/U5-Linienkreuz finden teils auch im sogenannten archäologischen Hoffnungsgebiet statt.

Christian Fischer

Viel Platz haben sie nicht, die mächtigen Tunnelbaugeräte, Bagger und Radlader, die auf der Großbaustelle gut 21 Meter unter dem Frankhplatz werken. Während an der Oberfläche trotz der Bauarbeiten die Straßenbahnen der Linien 43 und 44 dahinzuckeln, befindet sich direkt unterhalb ein riesiger Hohlraum samt temporären Betonpfeilern und Stützsäulen. 2026, wenn alles nach Plan läuft, wird hier die vorläufige Endstation der neuen U-Bahn-Linie 5 eröffnet. Diese wird dann zwischen Karlsplatz und Rathaus auf der bisherigen U2-Strecke verkehren, dort in einen neuen Tunnel abbiegen und den Frankhplatz ansteuern. Später soll es bis nach Hernals gehen. Aktuell werden beim Frankhplatz die beiden 120 Meter langen Stationsröhren gebohrt.

Die Bauarbeiten für den Tunnel finden gut 21 Meter unter dem Frankhplatz statt. Oberhalb der Stützsäulen fährt die Straßenbahn trotz der Bauarbeiten im Untergrund.
Christian Fischer

Überraschungen und Hindernisse

Trotz penibler Vorarbeiten und Recherchen stoßen die Tunnelbauer aber auch auf Überraschungen. Immerhin wird hier mitten in der Stadt auch in die Vergangenheit gegraben. Mit Hindernissen wurde durchaus gerechnet: Erst vor wenigen Tagen wurde bei der U-Bahn-Baustelle ein alter Hausbrunnen angefahren und freigelegt, erzählt U5-Projektleiter Johann Loreth. Diese Hausbrunnen gab es vor dem Ausbau des Wiener Kanalnetzes im 19. Jahrhundert noch zuhauf.

Andere Funde sorgten aber auch für Herausforderungen. Schauplatzwechsel zur nur wenige hundert Meter entfernt gelegenen U2-Baustelle Schottentor. Von hier soll die lila U-Bahn bis 2028 mit einem neuen Tunnel zur künftigen U2/U5-Doppelhaltestelle Rathaus und weiter Richtung Matzleinsdorfer Platz verlängert werden. Direkt unter der Universitätsstraße stießen die Arbeiter in sechs Metern Tiefe auf einen alten, 50 Meter langen Kanal aus Ziegeln. Der Durchmesser betrug gut zwei Meter. "Der Kanal war in keinen der uns vorliegenden Pläne eingezeichnet", sagte Loreth dem STANDARD.

Bei den U-Bahn-Bauarbeiten sind Herausforderungen einkalkuliert.
Christian Fischer

U2-Teilstrecke ein Jahr länger gesperrt

Es dürfte sich laut Wiener Linien um einen Teil des ursprünglichen Alsbachkanals handeln, der in den 1960er-Jahren umgebaut wurde. Josef Gottschall von der städtischen Magistratsunternehmung Wien Kanal vermutet, dass das Bauwerk auch ein älterer Teil des Alsbach-Gewölbes sein könnte, "das abseits des bekannten Bachbetts liegt". Ein gesichertes Wissen gebe es aber nicht.

Fix ist jedenfalls, dass der überraschend vorgefundene Hohlraum Verzögerungen beim Bauablauf bedingt hat. Der aktuell gesperrte Betrieb auf der U2-Strecke zwischen Schottentor und Karlsplatz kann erst im September 2024 wiederaufgenommen werden – ein Jahr später als geplant. Die Zeitpläne für die Eröffnung der U5 bis Frankhplatz (bis 2026) und der U2 bis Matzleinsdorfer Platz (bis 2028) sollen laut Wiener Linien nach aktuellem Stand halten.

Die U2-Strecke zwischen Karlsplatz und Schottentor bleibt länger als ursprünglich vorgesehen bis September 2024 gesperrt. Die Zeitpläne für die Eröffnung von U2 und U5 sollen aber halten.
Grafik: APA

"Jedes U-Bahn-Projekt hat Risiken, aber auch Chancen, die permanent zu bewerten sind", sagt Loreth. Natürlich gebe es weiterhin potenzielle Unwägbarkeiten. "Es gibt nicht den exakten Röntgenblick. Aber die Risiken sind schon wesentlich geringer geworden, als sie noch zu Projektbeginn waren."

Geschichte wird umgeschrieben

In Abstimmung mit der Wiener Stadtarchäologie finden vor den Bauarbeiten zu den U-Bahn-Stationen auch Ausgrabungen statt. So befindet sich etwa rund um Rathaus und Frankhplatz der Großteil des Baubereichs im archäologischen Hoffnungsgebiet: Das bedeutet, dass mit Funden gerechnet wird. Immerhin wurde das Areal im Lauf der Jahrhunderte mehrmals bebaut.

Im Zuge der Bauarbeiten wurde von der Stadtarchäologie Wien im Vorjahr bei der Landesgerichtsstraße eine Römerstraße ausgegraben.

Durch Erkenntnisse, die die Ärchäologinnen und Archäologen gewinnen, kann mitunter auch die Geschichte umgeschrieben werden: Beim Frankhplatz wurden unerwartet alte Siedlungsreste der Vorstadt des römischen Legionslagers gefunden, die aus der Zeit zwischen dem Ende des ersten bis zum dritten Jahrhundert n. Chr. stammen dürften.

Die Vorstadt erstreckte sich also weiter in Richtung Westen, als Forscherinnen und Forscher bisher dachten.

Die Lagervorstadt um das Legionslager (rot) dürfte weiter in Richtung Westen gereicht haben als bisher bekannt. Diese interaktive Karte ist auch auf "Wien Kulturgut: Stadtarchäologie" zu finden.

Gefunden wurden unter anderem Öfen, Siebe oder eine römische Komödienmaske.

Die Komödienmaske stammt aus der Römerzeit und wird auf das zweite bis dritte Jahrhundert datiert.
Foto: Stadtarchäologie Wien

Ein Highlight war für Loreth der Fund eines Mammut-Stoßzahns in 13 Metern Tiefe direkt hinter der Wiener Universität bei der Ecke Ebendorferstraße/Liebiggasse. "Der Baggerfahrer hat zunächst gemeint, dass er ein Holzstück gefunden hat." Der Fund wurde ins Naturhistorische Museum gebracht, dort als etwa 70 Zentimeter langes Zahnfragment erkannt und von Expertinnen und Experten konserviert. Es dürfte zwischen 50.000 und 15.000 Jahren alt sein. Aktuell ist der Mammut-Stoßzahn in einer Glasvitrine der U3-Station Volkstheater ausgestellt.

Das 70 Zentimeter lange Fragment des Mammut-Stoßzahns wurde in 13 Meter Tiefe bei Bauarbeiten hinter der Wiener Universität bei der Ecke Ebendorferstraße/Liebiggasse gefunden.
Foto: krud

Panzer und Wehrmachts-Lkw im Boden gefunden

Von wesentlich jüngeren, aber nicht minder spektakulären Funden kann Josef Gottschall von Wien Kanal berichten. Beim Aushub des Speicherbeckens "Gelbe Haide" in Inzersdorf wurden 2019 Teile eines Wehrmachts-Lkws ausgegraben. Bei der Baustelle für den Hauptbahnhof stießen Arbeiter – neben einigen Fliegerbomben – 2010 auch auf einen Panzer aus dem Zweiten Weltkrieg. Bei Bauarbeiten in der Seestadt Aspern wurden in den vergangenen Jahren immer wieder Reste von Soldatengräbern der Schlacht von Aspern zwischen französischen und österreichischen Truppen im Jahr 1809 gefunden. (David Krutzler, 9.5.2022)