Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke hatte schon leichtere Zeiten. Tourismuskrise, Energiekrise und jetzt die Inflation – Baustellen, wohin man blickt.

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Die 365-Euro-Jahreskarte für den öffentlichen Verkehr in Wien soll vorerst nicht angerührt werden, ewig werde man den derzeitigen Preis aber nicht halten können, sagt Wiens Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) im STANDARD-Interview.

Zusätzliches Geld muss die Stadt auftreiben, um den inflationsbedingten Anstieg der Kosten für den U-Bahn-Ausbau zu stemmen. "Was die Finanzierung betrifft, sind wir gefordert", sagt Hanke. "Wir haben einen Baukostenindex, der innerhalb eines Jahres im Tiefbau um 20 Prozent gestiegen ist." Mit dem Bund, mit dem es eine Aufteilung der Kosten im Verhältnis 50:50 gibt, wolle man schnellstmöglich Gespräche führen.

STANDARD: Die Mai-Feiern sind überstanden. Haben Sie schon abgestimmt für SPÖ-Chefin Rendi-Wagner?

Hanke: Ich habe schon gevotet, wie es sich gehört, nehme teil an der geheimen Abstimmung. Aber ich sage ganz ehrlich, ich bin insgesamt mehr als unzufrieden mit der Situation in der österreichischen Sozialdemokratie. Die SPÖ kann viele gute Angebote machen, deshalb müssen wir zu einer geschlossenen Führung zurückfinden, sonst werden wir nicht gehört. Es ist zu befürchten, dass das länger dauert. Jetzt müssen wir uns zusammenreißen. Was nicht passieren darf – dass dieser Entscheidungsprozess mit dem Parteitag nicht beendet ist.

STANDARD: Stichwort Teuerung: Die Fernwärme in Wien wurde um 92 Prozent teurer, jetzt bekommen die Kunden im Schnitt generös 80 Euro Rabatt – die müssen sich veräppelt fühlen, nicht?

Hanke: Nein, müssen sie nicht. Denn das ist ein klarer Schritt weg von den Höchstpreisen. Wir haben ja ein 140-Millionen-Entlastungspaket geschnürt. Und das ist ein ehrliches Paket.

STANDARD: Was heißt ehrlich? Gibt es auch ein unehrliches Paket?

Hanke: Ich meinte, es ist keine Werbedurchsage. Das ist bares Geld. Fernwärmekunden bekommen 20 Prozent Rabatt auf den Grundpreis. Das wird klar ausgewiesen auf der Rechnung. Aber es ist nicht die Welt, das ist vollkommen richtig. Deshalb ist eines auch klar: Es muss bis Sommer beim Strom- und Gaspreis weitere Schritte geben, denn wir haben seit Ende 2022 eine Stabilisierung im Energiemarkt. Zudem brauchen wir gesunde Unternehmensstrukturen, um die enormen Investitionen wie die Großwärmepumpe oder Geothermie und die anderen Raus-aus-Gas-Maßnahmen stemmen und auch leistbare Endkundenpreise generieren zu können. Wir haben mit dem Tarif "Optima entspannt" noch immer einen der günstigsten Tarife in Österreich.

STANDARD: Günstig? Das kann sich nur auf Ostösterreich beziehen, wo es mit der Energie-Allianz ein unnatürliches Monopol aus Wien Energie, EVN und Energie Burgenland gibt …

Hanke: Mit Tirol kann man die Situation in Wien nicht vergleichen. Wir sind in einem liberalisierten Markt, da gibt es geringere Spielräume. Aber die Spielräume, die es gibt, müssen genutzt werden. Als kommunales Unternehmen haben wir einen doppelten Auftrag.

Immerhin der Tourismus ist wieder angelaufen, langsam kommt auch zahlungskräftige Kundschaft aus China wieder nach Österreich.
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STANDARD: Der Gewinn von Wien Energie ist – auf welche Art auch immer er erwirtschaftet wurde – deutlich höher als Ihre 140 Millionen Euro, die Sie jetzt generös zurückgeben an die Endkunden, da müsste mehr drin sein.

Hanke: Gehen wir es durch: Von den rund 370 Millionen gehen 140 Millionen Euro zurück an die Kunden. Den Rest brauche ich für die Investitionen in die Zukunft. In die Energiewende investiert Wien Energie allein heuer 272 Millionen Euro,

STANDARD: Die 160 Millionen Dividende vom Verbund gibt es auch noch, die streift Wiener Stadtwerke ein ...

Hanke: Richtig, das läuft hinein in das Jahresergebnis der Gruppe.

STANDARD: Der einst reichlich geflossene Gewinn von Wien Energie fehlt an anderer Stelle. Wiener Linien investiert wie wild, das Netz aus U-Bahn und Straßenbahnen wächst, aber die Ticketpreise sind seit 2011 eingefroren. Das 365-Euro-Ticket müsste an die 600 Euro kosten. Mit höheren Preisen für Einzelfahrscheine und Wochenkarten werden Sie das nicht kompensieren können, oder?

Hanke: Die 365-Euro-Jahreskarte ist das Angebot der Stadt Wien für klimafreundliche Mobilität. Wir haben inzwischen mehr Jahreskarten- als Autobesitzer. Das ist ein Angebot, das wollen wir möglichst lange erhalten. Es müssen möglichst viele Menschen umsteigen auf den öffentlichen Verkehr. Den Öffi-Verkehr auf möglichst hohem Niveau zu halten, das muss unser Ziel sein. Deshalb haben wir ja die großen Ausbaupläne von Schwechat nach Liesing, von Floridsdorf in die Donaustadt, U2, U5 und so weiter. Der Preis für die Jahreskarte wird nicht ewig zu halten sein, irgendwann wird man den Rechenstift zücken müssen. In den nächsten Jahren werden wir das halten können.

STANDARD: Das wird finanziell eine Herausforderung, es fehlt aber an auch Kapazitäten, die Fahrplanintervalle sind seit der Pandemie teils viel zu lang. Bim, Bus und U-Bahn sind überfüllt, man wartet gefühlt ewig auf eine Bim, wie die Beschwerden zeigen.

Hanke: Es ist eine wirkliche Challenge, keine Frage. Den Fachkräftemangel haben alle, auch Busunternehmen wie Blaguss, Richard oder Wiener Linien. Da müssen wir Antworten finden. Aber wir haben einen klaren Auftrag und einen Fünf-Punkte-Plan, wir turnen uns bis zum Herbst wieder zurück zu den alten Intervallen.

STANDARD: Sie könnten sich die Gewerkschaft der Gemeindebediensteten zur Brust nehmen, die hat sehr viel Einfluss, ist vielleicht aber nicht der beste Manager für Dienstpläne und Personal ...

Hanke: Ich glaube, wir haben mannigfaltige Diskussionen zu führen, es gibt keine einfachen Lösungen. Deshalb das Fünf-Punkte-Programm, um attraktiver zu werden als Wiener Linien. Da versuchen wir, Stehzeiten zu reduzieren, die Bezahlung zu verbessern und im Personalrecruiting neue Wege zu gehen. Auch bei der Ertüchtigung der Gleise, die teils in die Jahre gekommen sind. Wir nehmen das sehr ernst, aber ich darf daran erinnern, dass wir im Jahr über tausend Falschparker haben, deren Fahrzeuge entfernt werden müssen. Dann ist der ganze Fahrplan im Eimer, die Fahrgäste müssen wieder länger warten.

STANDARD: Das Management der kommunalen Betriebe unter der Beteiligungsholding Wiener Stadtwerke scheint doch sehr ausbaufähig. Wer hat dort das Heft in der Hand?

Hanke: Ich glaube nicht, dass das Beteiligungsmanagement oder das Controlling ausgebaut werden müssen. Aber das Service ist verbesserungswürdig, darauf lege ich großen, großen Wert. Der Kunde muss im Fokus sein, Hotlines und damit die Erreichbarkeit müssen verstärkt werden. Die Zeiten, in denen der Kundenservice bei Wien Energie oder Wiener Linien erreichbar ist, dürfen nicht um 17 Uhr aus sein. Das klingt banal, aber das ist ein Change in der Bewusstseinsbildung. Das stadtinterne Beteiligungsmanagement wird wie angekündigt in enger Zusammenarbeit mit einem externen Unternehmen auf neue Beine gestellt.

STANDARD: Gibt es einen Masterplan für die Energiewende bis hinunter zu Mietern und Eigentümern? Eine 23 Jahre alte Gastherme ist in absehbarer Zeit zu tauschen. Aber der Mieter weiß nicht, was darf ich einbauen? Soll es eine Brennwerttherme sein, oder gibt es Alternativen? Kommt Fernwärme in meine Gasse, und wie soll ich die Zeit bis dahin überbrücken?

Hanke: Es gibt einen klaren Plan "Raus aus Gas", der in den nächsten eineinhalb Jahren in klaren Positionierungen in die Bezirke führt und klare Ansagen enthält, wo wir Fernwärme weiter ausbauen wollen, wie wir die Dekarbonisierung der Fernwärme vornehmen wollen. Auch alternative Grätzellösungen werden wir brauchen, wie zum Beispiel in Oberlaa. Wir brauchen viel mehr Strom, schon allein für die E-Autos.

STANDARD: Sind Sie froh, dass diese Untersuchungskommission zu den Börsengeschäften von Wien Energie im September endet?

Hanke: Ob sie im Oktober endet oder im Dezember, ist nicht entscheidend.

STANDARD: Es gibt einige Erkenntnisse aus dem Debakel, bei dem die Stadt und dann der Bund mit Notkrediten einspringen mussten, damit Wien Energie nicht kollabiert, weil die Margin-Calls, also die Sicherheitenleistungen an der Strombörse, nicht mehr beigebracht werden konnten. Die gehandelten Volumina waren im Vergleich zu 2021 massiv ausgeweitet worden. Die Stromproduktion hingegen war zurückgegangen. Das passte also nicht mehr zusammen.

Hanke: Da bin ich anderer Meinung. Unser oberstes Ziel ist die Gewährleistung der Versorgungssicherheit der zwei Millionen Kundinnen und Kunden. Eine solche Situation gab es nicht nur in Österreich, auch Unternehmen in der Schweiz oder Deutschland hatten ähnliche Herausforderungen. Wir haben auch deren Geschäftsmodelle hinterfragt, die allesamt auf einer ähnlichen Basis funktionieren wie das von Wien Energie. Es gibt natürlich Unterschiede, mit einem Tiroler Energieversorger mit Wasserkraftwerken nicht vergleichbar, weil die Ausgangslage mit den KWK-Anlagen (thermische Energieerzeugung über Kraft-Wärme-Kopplung, Anm.) und der Fernwärme eine ganz andere ist.

STANDARD: Im Lichte des Krieges in der Ukraine und der Verwerfungen auf den Energiemärkten haben die Börsengeschäfte von Wien Energie ein enorm hohes Risiko. Eng war es finanziell bereits lange vor der ersten Notkompetenz des Bürgermeisters, da reichte das Cashpooling der Stadtwerke kaum mehr aus. Das können Sie sich nicht schönreden, oder?

Hanke: Der Krieg in der Ukraine ist natürlich eine Zäsur, da bin ich bei Ihnen. Bei den europaweit gestiegenen Preisen ist Wien nur Passagier. Dass wir uns jetzt zu überlegen haben, wie wir mit einem möglichen erneuten Anstieg umzugehen haben, ist unbestritten. Das betrifft eine Prüfung des Risikomanagements. Vor allem aber den neuen Wiener Schutzschirm, mit dem die Kundinnen und Kunden vor den volatilen Märkten weitgehend geschützt sind.

STANDARD: Das muss doch die Lehre sein: Spätestens bei der ersten Notkompetenz im Juli war klar, dass es bedrohlich werden kann für Wien Energie. Aber nichts ist geschehen, es ging weiter wie bisher. Zur Not hätte man auf Kassaverkauf umstellen müssen, wie es Ende August dann der Fall war.

Hanke: Da widerspreche ich Ihnen. Mitte Juli gab es einen kurzen Ausreißer an der Börse. Daher die vorsorgliche Maßnahme mit der ersten Notkompetenz. Der OTC-Markt war ausgetrocknet zu der Zeit. Das gab es nicht und hätte zu anderen Risiken in den Bankbilanzen geführt. Das müssen Sie bitte gelten lassen. Die Warenbörse hat den Vorteil, dass Käufer und Verkäufer safe sind. Ein Over-the-Counter-Geschäft hat gar keine Sicherheit, im Fall, dass ein Partner insolvent wird.

STANDARD: Man hätte doch früher die Notbremse ziehen müssen, oder?

Hanke: Bis zur Ankündigung von Gazprom, die für Europa wichtige Pipeline Nord Stream 1 werde möglicherweise nicht wieder in Betrieb gehen, gab es kein Problem mit der Liquidität. Was danach passierte, war unvorhersehbar. Wer hat denn die Energiekrise kommen sehen? Sie?

STANDARD: Die Energiekrise in ihrer ganzen Dimension wohl nicht. Aber am 24. Februar 2022 haben alle gewusst, dass Russland die Ukraine angegriffen hat und dass es mit Sicherheit nicht lustig wird. Steigende Preise gab es sofort.

Hanke: Ja, wir haben gesehen, dass es massive Auswirkungen auf den Gasbereich haben kann und haben wird. Aber ich gebe Ihnen recht, der Kriegsbeginn war der Beginn einer großen Veränderung. Es geht ja nicht darum, dass man hinterher nicht gescheiter werden darf. Man muss gescheiter werden, und wir müssen ein Modell für die künftigen Jahre haben.

STANDARD: Haben die Geschäftsführung von Wien Energie und die der Stadtwerke noch Ihr uneingeschränktes Vertrauen?

Hanke: Ich habe mich hier gut informiert gefühlt und zu Peter Weinelt (Geschäftsführer Wiener Stadtwerke, Anm.) ein wirklich gutes Verhältnis und vollstes Vertrauen.

STANDARD: Wenn Sie zu jeder Zeit voll informiert waren und alles gewusst haben, wie Sie sagen, wer hat den Herrn Bürgermeister nicht richtig informiert? Michael Ludwig sagte vor der Untersuchungskommission, dass er am 12. Juli nur sehr allgemein über Liquiditätsprobleme bei Wien Energie informiert wurde. Sie haben gesagt, dass bereits eine Hilfe seitens der Stadt zu prüfen war vom Magistrat.

Hanke: Ich habe den Bürgermeister nach Eingang des Antrags der Wiener Stadtwerke auf Liquiditätshilfe der Stadt über diesen informiert. Bereits am 8. Juli informierte der Aufsichtsratsvorsitzende der Wiener Stadtwerke, Magistratsdirektor Dietmar Griebler, den Bürgermeister oberflächlich. Und aufbauend auf den endgültigen damals aktuellen Daten war ich mit dem Bürgermeister im Austausch.

STANDARD: Aber es hat sich doch schon im Jänner 2022 abgezeichnet, dass die Preise stiegen, Wien Energie und Wiener Stadtwerke nutzten Kreditlinien bei Banken aus. Das war vor dem Ukrainekrieg.

Hanke: Ich verstehe ja Ihre prinzipielle, kritische Haltung dem Thema gegenüber. Aber wie schon erwähnt, war eine finanzielle Stütze der Stadt bis Mitte Juli kein Thema, erst die Ankündigung der Gazprom war der Gamechanger. Als Eigentümervertreter habe ich mir die Fakten anzusehen, ich bin ja die Generalversammlung der Wiener Stadtwerke. Ich bin auf die Strukturen angewiesen, um eine Situation einschätzen zu können. Hätte es eine solche Situation gegeben, wäre gemäß GesmbH-Gesetz vom Magistratsdirektor verpflichtend eine Generalversammlung einzuberufen gewesen. Das war nicht der Fall.

STANDARD: Vielleicht weil man alles unter der Decke halten wollte? Waren Stadtwerke und Wien Energie zu lange auf Tauchstation?

Hanke: Wir wollen gar nichts unter der Decke halten. Wiener Stadtwerke und Wien Energie haben ihren Versorgungsauftrag und ihre Informationspflicht erfüllt. Dass die Stadt Wien als Eigentümer bei der Sicherung an der Seite ihrer Unternehmen steht, ist für mich selbstverständlich. Aber ich glaube, dass wir die Kommunikation nach außen anders hätten machen können. Denn es ist wichtig, dass wir sehr transparent sind. Das wird auch im Schlussbericht der Kommission stehen. Da wird es Änderungen brauchen und geben.

Die U-Bahn-Linie U2 bleibt länger geschlossen. Grund sind geologisch-technische Probleme im Untergrund.

STANDARD: Zurück zum Verkehr. Diese Verzögerung beim U-Bahn-Bau um ein Jahr ist gerade jetzt eher suboptimal. Wie teuer wird es, 2022 war die Kalkulation bereits bei rund sechs Milliarden Euro.

Hanke: Die gute Nachricht ist, dass der Zeitplan des Gesamtprojekts trotz Verzögerung halten wird. Dass sich die U2 verzögert, ist bedauerlich, aber unvorhergesehenen technischen Herausforderungen geschuldet, die im Rahmen solcher Megaprojekte natürlich auftreten können. Was die Finanzierung betrifft, sind wir gefordert. Wir haben einen Baukostenindex, der innerhalb eines Jahres im Tiefbau um zwanzig Prozent gestiegen ist. Wir haben noch keine konkrete neue Kostenschätzung, aber wir intensivieren diese Prozesskette, um so schnell wie möglich Gespräche auch mit dem Bund zu führen, mit dem wir ja diese 50:50-Aufteilung bei den Kosten haben. Noch unter Finanzminister Gernot Blümel haben wir eine zusätzliche Komponente eingebaut: Wenn die Inflation über drei Jahre höher als zweieinhalb Prozent liegt, hat das zu Verhandlungen zu führen. Darum kümmern wir uns nach den Finanzausgleichsverhandlungen. (Luise Ungerboeck, Günther Strobl, 4.5.2023)