Oronte (Markus Hamele) ist ein eitler Geck, kann aber ziemlich gut Rollschuh fahren: Molière, ins Heute transponiert vom Theater an der Gumpendorfer Straße.

Anna Stöcher

Ob im 17. Jahrhundert oder heute, zu Misanthropie gibt die Menschheit immer Anlass. Und so hat auch der ganz und gar heutige Alceste (Jens Claßen) in Fabian Alders Überschreibung des Molière-Klassikers Der Menschenfeind, die er am Theater an der Gumpendorfer Straße auch selbst zur Uraufführung bringt, reichlich Anlass zur Hasstirade: Neoliberalismus, digitale Verdummung, Kommodifizierung jeder menschlichen Handlung und Regung, hohles Phrasengedresche – die Liste ließe sich endlos fortführen, und würde Alceste nicht gestoppt, er täte das auch.

Doch im 21. Jahrhundert lebt er mit der geliebten Célimène (Lisa Schrammel) zusammen, und die betreibt nicht nur eine Werbeagentur, sondern soll zu allem Überfluss auch Kampagnenleiterin der GÖP werden – der grün-ökonomischen Partei. Da bleibt nicht nur Alceste das zynische Lachen im Halse stecken.

Auf der Party mit dem Team der Werbeagentur hat er aber ohnehin nicht mehr viel zu melden. Der eitle Oronte (Markus Hamele), der leicht dümmliche Clitandre (Georg Schubert) und die Generalsekretärin der Partei (auch als Arsinoé: Ida Golda) sehen ihn vor allem als PR-Gefahr. Allzu schnell könnte die Presse ihn als rechts-rechten weißen Alten entlarven. Nur die ständig über die eigenen Füße stolpernde Éliante (Michaela Kaspar) himmelt ihn unbeholfen an und zieht ihn in eine Intrige, die nicht nur die Liebe zwischen Alceste und Célimène, sondern auch deren berufliche Zukunft und die Partei gefährdet. Ein geleaktes Video enthüllt die Verunreinigung der Lobau durch eine achtlos hingeworfene Bierdose. Das Internet bebt.

Alder lehnt sich lose am Plot des Originals an, auch Reim und Versmaß behält er bei. Das führt zu lustigen Momenten, wenn sich "geht mir hops" auf "Steve Jobs" reimt oder "heuchlerische Sau" auf "Lobau". Schnell nutzen sich Alcestes misanthropische Wutreden an dem mit 75 Minuten recht kurzen Abend aber ab: zu oft gehört, zu beliebig. Star des Abends ist das Ensemble, das seine Figuren auf der vielseitig bespielbaren Bühne (Thomas Garvie) in liebevoller Miniaturarbeit entwickelt.

Müllsack für das Haupt

Nicht zu vergessen die großartigen Kostüme (Katia Bottegal), die die historische Mode mit ihren Rüschen, Perücken und Krinolinen elegant ins Heute übersetzen. Da ziert dann eben ein Müllsackerl mit leeren Plastikflaschen das edle Haupt der Generalsekretärin, Stichwort Upcycling. Am stärksten ist der Abend, wenn das Ensemble sich in Überspitzung und Albernheit verliert, etwa, wenn sich Célimène und PR-Konkurrentin Arsinoé unter Tourette-mäßigen Artigkeiten die größten Gemeinheiten ins Gesicht schmieren – so wie wenig später ein Stück Torte.

Highlight ist aber, wenngleich für die Handlung völlig irrelevant, der Rollschuhdisco-Auftritt von Oronte und Clitandre in ihren güldenen Leggings. Viel Applaus für einen Abend, der großen Spaß macht. (Andrea Heinz, 5.5.2023)