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Der Berliner Psychiater und Neurologe Mazda Adli hat bereits vor einigen Jahren das Buch Stress and the City veröffentlicht. Der bekennende Radfahrer zieht aus verschiedensten Studien das klare Ergebnis: Städte gehen uns auf die Nerven, und das, obwohl wir in ihnen doch gesünder werden. Städte und ihre Unternehmen sind sowohl im Bereich des Klimaschutzes wie auch in dem der Gesundheit, ob Stress, Emissionen oder auch Hitze, die wichtigsten Problemtreiber – und gleichzeitig deren Problemlösungen.

Bei Adli und Stadtentwicklerinnen zeigt sich immer das gleiche Muster: Wir müssen uns in Städten anders bewegen. Vor allem selber. Und dabei spielt die Mobilitätspolitik in Unternehmen eine zentrale Rolle. Schließlich legen wir kaum einen Weg öfter zurück als den in die Arbeit.Nun aber ist – mitten in der Mobilitäts- und Antriebswende – gerade in den Autonationen Deutschland, Frankreich und Österreich eine Moralisierung der Mobilität eingetreten, die einen atemlos im Stau auf Straßen wie an Radampeln stehen lässt.

Verkehr ist irgendwie immer verkehrt. Bei Klimaklebern wie Vergangenheitsklebern, Autorasern wie Radlrambos, E-Scooter-Falschparkern oder angeleinten Dackel-Fußgängern ist immer Puls auf allen Wegen. Also allerhöchste Zeit für Gedankengänge und Navigationstipps in Personalabteilungen:

1. Mehr wagen als nur Dienstwagen?

Der Dienstwagen wird im ländlichen Raum ein Boomer-Statussymbol bleiben. Oder? Das wird so nicht bleiben müssen, weil die Mobilitätsbedürfnisse weiter zunehmen, aber demokratischer und flexibler werden: Klimaticket, Sharing-Angebote, On-demand-Verkehre, 365-Euro-Ticket und Dienstrad. Das gilt insbesondere in Zeiten der hybriden Arbeit, Vier- oder Dreitagewochen und natürlich auch für klimabewusstere Generationen.

2. Chef fährt uns. Wir arbeiten.

In vielen Unternehmen wird über eine Renaissance des letzten Jahrhunderts nachgedacht und sogar schon umgesetzt: der Werksshuttle oder der Business-Bus. Mit datenbasierten digitalen Tools kommt nicht nur der Schulbus wieder, um die vielen Helikopter-Eltern im Rushhour-Anflugverkehr zu entlasten, sondern eben auch Arbeitgeber, die ihre Teams abholen und dort in guter Infrastruktur arbeiten lassen.

3. Chefin vermietet uns Dienstwohnungen. Wir kommen näher.

Die zweite Renaissance: die Werks- bzw. Dienstwohnung beim Arbeitgeber. In Zeiten der Wohnungsknappheit und des Ansiedlungsbedarfs neuer Mitarbeitender und junger Familien kommt diese mobilitätsvermeidende Idee zurück auf die Schreibtische der Personalabteilungen. Die Steuergesetzgebung ist vorbereitet, die Wirtschaftskammer kennt sich aus.

4. Beweglichere Mobilitätsangebote

Das sogenannte Mobilitätsbudget soll es Mitarbeitenden ermöglichen, ihre betriebliche wie private Mobilität flexibler, kostengünstiger, schneller und nachhaltiger zu gestalten, indem aus verschiedenen Verkehrsoptionen gewählt werden kann. Die Anbieter steueroptimierter App-basierter Lösungen behandeln dabei die Fragen der Entgeltumwandlung, Sachbezüge bzw. Pauschalversteuerungen der geldwerten Vorteile. Wirkt komplex, spart aber Kosten.

Für betrieblich veranlasste Verkehre richtet z. B. die Gesellschaft für urbane Mobilität Bicicli sogenannte Mobility-Hubs ein, also flottierte Angebote für E-Roller, E-Scooter, E-Cars und Fahrräder. Mit Umkleiden, Spinden, Duschen, Lade-, Park- und Digitalinfrastruktur für Buchung und Schließung. Und dies im Full-Service-Leasing – mit Wartung. Damit wird ein Mobilitätsmix für betriebliche Fahrten und auch Pendlerfahrten ermöglicht.

5. Dienstreisen werden politisch – personalpolitisch

Und damit sind Dienstreisenrichtlinien personalpolitisch ein zentraler Hebel. Es geht dabei nicht nur um Flugscham und Zugstolz, sondern es geht darum, eine gesunde durchgängige Mobilitätsreise zu ermöglichen, die auch die Reisezeit als Arbeitszeit ermöglicht. Weniger Stress, mehr Arbeitszeit bei geringeren Kosten klingt nicht nach Verlustängsten. Die letzte Meile bleibt noch oft das Problem, dessentwegen man hunderte Meilen mit dem Auto zurücklegt. Deswegen werden Mobilitätsstationen an Bahnhöfen so wichtig und die ÖBB wie auch Deutsche Bahn Smart-City-Partner für Unternehmen.

6. ESG und CSRD: Mobilität und Klimaschutz kommen im Controlling an

Die EU-Taxonomie ESG steht für Ökologie, Soziales Wohlbefinden und Governance. Betriebliche Mobilität betrifft nicht nur Ökologie, sondern auch Gesundheit. Die europäischen Reporting-Anforderungen Corporate Sustainability Reporting Directives (CSRD) haben nun auch für den nicht börsennotierten Mittelstand die Emissionen von Pendlerfahrten aufgenommen.

7. Studienlage: Warum Selbstbewegung allen hilft – vor allem aber Unternehmen

Großzahlige, langlaufende Studien zeigen immer wieder das gleiche Ergebnis: Selbstbewegung – also Rad- und Fußverkehre – hilft. 300.000 Pendelnde wurden von der Cambridge University und dem Imperial College London über 25 Jahre lang begleitet: Die Krankheitsrisiken von Radfahrenden lagen im Vergleich zu Autofahrenden 24 Prozent niedriger, Krankenfehltage sogar um 25 Prozent niedriger. Nun werden in Deutschland schon politisch Ausgleichstage für Radfahrende gefordert. Sie arbeiten eben einfach mehr und kommen pünktlicher.

8. Mobilitätsstrategie jenseits der Moralisierung

Mobilität muss unternehmerisch, betriebswirtschaftlich und für Mitarbeitende in neuen Arbeitswelten auf die Strategie-Agenda – jenseits einfacher Benefitprogramme und simpler Elektrifizierung der Dienstwagenflotte.

Fazit: Die Mobilitätswende ist keine Antriebswende, sondern eine Verhaltenswende – hin zu günstigeren, gesünderen, klimaschützenden, flexibleren wie zeiteffizienteren Verkehren. Wie bei jedem Change-Management ist dies auch eine kommunikative Herausforderung. Let’s talk! Nach unserer Erfahrung am besten mit allen gemeinsam: Vorstand, Betriebsrat, Controlling, Fuhrpark, Facility – moderiert und motiviert durch ein kluges Personalmanagement! Oder wie es so schön heißt: "Ihre Route wird neu berechnet!" (Stephan A. Jansen, 16.5.2023)