Tursky wünscht sich noch in diesem Jahr eine europäische Einigung auf den "AI Act".

Foto: Robert Newald

Ein Jahr ist vergangen, seitdem Florian Tursky seine Räumlichkeiten im achten Stockwerk des Finanzministeriums in der Hinteren Zollamtsstraße bezogen hat. In den ehemals kahlen Räumen des ÖVP-Staatssekretärs steht nun etwa eine silbrig glänzende Siebträgermaschine samt Mühle – privat bezahlt, wie Tursky betont. Auch in sein Thema ist im letzten Jahr etwas Leben gekommen: Unter Digitalisierung, in Österreichs Politik bisher oft Worthülse, können sich viele wegen des Hypes um künstliche Intelligenz etwas vorstellen.

STANDARD: Von der Bundesregierung heißt es ja, dass Österreich Innovationsstandort für KI werden soll. Aber man hört aus der Wissenschaft sehr oft, das Gegenteil passiere. Kürzlich kam etwa Kritik vom prominenten Informatiker Sepp Hochreiter, der die österreichische KI-Strategie kritisierte. Was stimmt denn nun?

Tursky: Vorweg – ich schätze Sepp Hochreiter sehr und bin in regem Austausch mit ihm. Auch letzte Woche habe ich ihn wieder getroffen, auch aufgrund seiner Kritik, bei der es hauptsächlich um Grundlagenforschung geht. Im Bereich der angewandten Forschung tut Österreich wahnsinnig viel. Allein in den vergangenen beiden Jahren sind 500 Millionen Euro über die Forschungsförderungsgesellschaft FFG in KI-Forschung geflossen, in den vergangenen zehn Jahren waren es 1,3 Milliarden. Bei der Grundlagenforschung müssen wir aber sicher einige Lücken schließen. Die Grundlagenforschung in der KI funktioniert ganz anders als in anderen Bereichen. Da geht es hauptsächlich um Rechenleistung – und da wird es sicher neue Programme brauchen.

KI-Bildgeneratoren wie Midjourney können Bilder wie dieses erstellen. Doch die Veränderungen durch künstliche Intelligenz sind weitaus tiefgreifender.
Bild: Midjourney/pp

STANDARD: Wie kommen Sie auf die 500 Millionen Euro? Die Förderinitiative Artificial Intelligence Mission Austria ist mit zwölf Millionen Euro dotiert, sonst ist bei der FFG nirgendwo von künstlicher Intelligenz die Rede.

Tursky: Die angesprochenen 500 Millionen beinhalten alle Projekte, die von der FFG gefördert wurden, die KI anwenden beziehungsweise einen KI-Anteil in ihrer Forschungs- und Entwicklungstätigkeit haben. Aber es gibt natürlich zahlreiche andere Forschungsprojekte, bei denen KI eine Rolle spielt. Vor allem im angewandten Bereich.

STANDARD: Sie kritisieren das langsame Vorgehen in der EU bei KI-Regulierung und wollen ein eigenes KI-Gütesiegel ins Leben rufen. Glauben Sie, dass ein nationaler Alleingang Österreichs klug wäre? Andere Länder wie Italien sind damit ja bereits auf die Nase gefallen.

Tursky: Das ist etwas ganz anderes. In Italien hat die Datenschutzbehörde ChatGPT verboten. Eines ist klar: Wir brauchen noch im Jahr 2023 eine Einigung auf europäischer Ebene. Mir geht es darum, dass wir in Österreich auf den "AI Act" vorbereitet sind. Dieser wird nationale KI-Zertifizierungsstellen vorschreiben, weshalb ich die Idee eine KI-Behörde geboren habe. Sie soll KI-Systeme innerhalb des "AI Act" einstufen, das Risiko einschätzen und die Genehmigungen für Hochrisikoanwendungen erstellen.

STANDARD: Das heißt, die von Ihnen vorgeschlagene KI-Behörde wäre vor allem eine Zertifizierungsstelle, welche die KI-Verordnung der EU ohnehin vorschreibt?

Tursky: Sie ist für mich schon mehr. Wir wollen mit unterschiedlichen Partnern über ein Siegel nachdenken, mit dem wir vertrauenswürdige KI ausweisen können. Die Bürgerinnen und Bürger werden ein Verlangen nach einer Qualitätskontrolle haben, auch bei Nicht-Hochrisikoanwendungen. Allein das Ausweisen von künstlicher Intelligenz wird relevant sein.

STANDARD: Sie warnen immer wieder vor chinesischen KI-Systemen, können sich auch ein Verbot vorstellen. Wo würden Sie da ansetzen? Fällt der Tiktok-Algorithmus da auch hinein?

Tursky: Möglicherweise. China will KI auf der Basis seiner sozialistischen, kommunistischen Staatsgrundsätze regulieren. Wenn chinesische KI-Systeme einen ideologischen Fußabdruck haben, dann sind sie aus dem europäischen Markt auszuschließen. Für mich darf KI grundsätzlich keine Ideologie haben.

STANDARD: Manche Forschende bezweifeln, dass das überhaupt möglich ist. Wie soll das überprüft werden?

Tursky: Der Algorithmus ist immer eine Blackbox, den wird nie jemand lesen können. Aber ich kann mir einerseits anschauen, was in das Modell hineingeht, und ich kann mir anschauen, ob es im fertigen Produkt bestimmte Filter gibt. Die gibt es auch bei ChatGPT, sie sollen zum Beispiel Rassismus ausschließen. Das sind Werte, die wir in der EU verinnerlicht haben. Wenn Filter aber verhindern, sich negativ über die Kommunistische Partei Chinas zu äußern, sind sie problematisch.

STANDARD: Unter Fachleuten besteht weitgehend Einigkeit, dass KI in einer Weise reguliert werden muss. Einige warnen aber bereits davor, dass die EU Gefahr läuft, sich die aufkeimende KI-Wirtschaft kaputtzuregulieren.

Tursky: In den Vereinigten Staaten gibt es einen enormen Durst nach der europäischen Regulierung, auch bei den großen Konzernen. Sie wollen Rechtssicherheit. Diese brauchen wir in Europa vor allem für kleine und mittlere Unternehmen, weshalb wir eine einfache Zertifizierung und eine einfache Struktur dieser Behörde schaffen müssen. Das wird nicht einfach, ich sehe auch die Innovationsbedenken. Aber momentan warten alle auf Europa.

STANDARD: Das klingt ein bisschen so, als würden die USA und China die Technologie exportieren und Europa die Regulierung.

Tursky: Das sehe ich nicht so. Die Europäische Union tut wahnsinnig viel. Wir haben Potenzial, weil wir ein gutes Bildungssystem haben und gute Grundlagenforschung. Sepp Hochreiter ist nur ein Beispiel, eines der ersten Large Language Models kommt von ihm. Wir müssen nur aufpassen, dass wir unsere Expertinnen und Experten, aber auch die Unternehmen nicht abwandern lassen. Dafür müssen wir das notwendige Risikokapital bekommen, um Start-ups auch hier zu halten.

Vor rund einem Jahr wurde Digitalisierungsstaatssekretär Florian Tursky (links) angelobt.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Immer mehr Menschen haben Sorge, dass es aufgrund von KI künftig weniger Arbeit geben wird. Wie begegnen Sie diesen Ängsten?

Tursky: Digitalisierung und Innovation werden der einzige Weg sein, den Wohlstand, den wir in Europa und in Österreich haben, zu halten. Die Angst in der Bevölkerung kommt eher daher, bei diesen unglaublich schnellen Entwicklungen nicht mehr mitzukommen. Ich glaube, dass wir den Ängsten mit maximaler Transparenz begegnen müssen. Künstliche Intelligenz und Digitalisierung werden unser Leben einfacher, schneller und am Ende des Tages auch länger machen. Das müssen wir den Menschen zeigen, aber eben auch missbräuchlichen Anwendungen Einhalt gebieten.

STANDARD: Dennoch wird es für Unternehmen enorme Produktivitätsgewinne geben. Wie schafft man es, den Wohlstand, den KI schafft, gerecht zu verteilen? Selbst aus dem sonst eher libertären Silicon Valley kommen Rufe nach einer KI-Steuer, etwa um ein bedingungsloses Grundeinkommen zu finanzieren.

Tursky: Das erinnert mich an die Diskussion rund um die Maschinensteuer. Es gab schon immer Angst, dass die Automatisierung in Unternehmen Jobs kostet. Dabei war genau das Gegenteil der Fall. Ich bin mir sicher, dass es auch bei künstlicher Intelligenz so sein wird. Die große Herausforderung wird sein: Wie bereiten wir die Österreicherinnen und Österreicher auf diese neuen Jobs vor? Deshalb haben wir eine breite Partnerschaft mit der Gewerkschaft, mit der Arbeiterkammer und allen Ministerien im Bereich der digitalen Kompetenzen geschaffen. Digitales Wissen muss Bestandteil im Leben von Menschen vom Kindergarten bis zum Altersheim sein.

STANDARD: Dafür muss sich wohl vor allem die Schulbildung verändern. Im aktuellen Mittelschul-Lehrplan kommt künstliche Intelligenz nur an zwei Stellen vor.

Tursky: Gewisse Ansätze haben wir schon, zum Beispiel das Fach Digitale Grundbildung. Der Bundeskanzler hat jetzt den Vorstoß mit Coden in der fünften Schulstufe gemacht. Das ist der richtige Ansatz, auch wenn man sich das nicht so vorstellen darf, dass jetzt alle Fünftklassler vor den Codezeilen sitzen. Niemand weiß, wie viele Coder wir in Zukunft noch brauchen werden, da KI auch diesen Bereich verändert. Aber es wird Leute brauchen, die den Code verstehen.

STANDARD: ChatGPT kann nicht nur coden, sondern auch ganz passable Reden schreiben. Haben Sie das Tool schon einmal für Ihre politische Arbeit benutzt?

Tursky: Ja, als ich den UN-Sonderbeauftragen für Digitalisierung getroffen habe. Das Skript, das ich von meinem Team bekommen habe, hat mir nicht gefallen, deshalb habe ich ChatGPT beauftragt, eine englische Rede über Dinge wie digitale Souveränität zu schreiben. Ich habe das aber am Ende aufgelöst. (Philip Pramer, 10.5.2023)