Die Letzte Generation protestierte in den vergangenen Wochen häufig.

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Wien/Berlin – Die Klimaschutzgruppe Letzte Generation steht nach einer Protestaktion am Mittwoch am Verteilerkreis in Wien-Favoriten in der Kritik. Dort wurde einem Rettungsfahrzeug laut Polizei der Weg zu einem Reanimationseinsatz in Niederösterreich blockiert. Der Patient verstarb, noch bevor der Rettungswagen am Einsatzort eintraf. "Wir sind aber einige Minuten später vom Verteilerkreis losgekommen", sagte Sprecherin Corina Had.

Zu der Aktion am Verteilerkreis kam es am Mittwoch in der Früh gegen 8 Uhr. Laut Angaben der Polizei machten die Aktivistinnen und Aktivisten erst nach Intervention durch die Beamten den Weg frei. "Diesbezüglich wurden die Aktivisten und Aktivistinnen gemäß dem Strafgesetzbuch und der Straßenverkehrsordnung angezeigt", hieß es von der Landespolizeidirektion dazu.

Patient starb am Einsatzort

Die Wiener Berufsrettung bestätigte am Mittwoch die Angaben der Exekutive. "Die Fahrbahn war für uns erst nach Einschreiten der Polizei frei", so Sprecherin Had. "Es hat einen Einsatz in Niederösterreich gegeben, bei dem ein älterer Herr reanimiert werden musste." Bevor die Wiener Retter in Niederösterreich ankamen, erhielten sie die Meldung, dass der Patient bereits von Einsatzkräften eines Notarzthubschraubers versorgt werde. Der Mann starb jedoch trotz aller Bemühungen noch am Einsatzort. Had betonte, dass es infolgedessen keinen Kontakt mehr mit dem Patienten gegeben habe, aber "es eben immer um Menschenleben" gehe.

Auf Anfrage gab der Sprecher der Letzten Generation, Florian Wagner, am Mittwoch zu, dass "ein Fehler passiert ist". "Wir haben heute in der Hektik vor der Aktion nicht in der Leitstelle der Rettung angerufen und über unsere Aktion informiert", so Wagner. Zuvor hatte die Letzte Generation die Vorwürfe dementiert. Es sei am Verteilerkreis nach "Auskunft der Menschen weit und breit kein Rettungsfahrzeug in Sicht" gewesen, hieß es in einer ersten Stellungnahme.

ÖVP und FPÖ verurteilen Letzte Generation

"Es ist genau das passiert, was wir seit Wochen befürchten, ein Mensch hat sein Leben verloren", schrieb Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) in einer Aussendung. Einen dringenden Appell richtete sie an den Koalitionspartner: "Bitte aufwachen, das hat nichts mehr mit Demo-Romantik zu tun." Plakolm erwarte sich nun "ernsthafte Gespräche über massive Strafverschärfungen".

Auch der Wiener ÖVP-Chef Karl Mahrer forderte noch am Mittwoch Konsequenzen. "Es braucht eine Änderung des Versammlungsgesetzes und Freiheitsstrafen für mutwilliges Blockieren von Einsatzfahrzeugen", so Mahrer. Mit dem Blockieren von Rettungsfahrzeugen hätten die Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten die letzte Grenze überschritten, teilte der Wiener ÖVP-Obmann in einer Aussendung mit.

FPÖ will "massive Strafverschärfungen"

"Wir haben vor Monaten davor gewarnt, dass durch diesen unangemeldeten Aktivismus Rettungskräfte behindert werden können. Nach den bisherigen Informationen ist jetzt der schlimmste anzunehmende Fall eingetreten. Es ist erschütternd, dass diese Gefahr von den Beschwichtigern einfach weggelächelt wurde. Meine Gedanken sind bei den Hinterbliebenen", sagte Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

"Heute ist ein tragischer Fall eingetreten, vor dem wir Freiheitliche seit Monaten warnen: Mit ihren irren Aktionen haben die Klimaterroristen ein Rettungsfahrzeug blockiert. Die Einsatzkräfte gelangten laut Medienberichten dadurch zu spät zum gerufenen Einsatzort, und der reanimationspflichtige Patient ist leider verstorben", reagierte FPÖ-Verkehrssprecher Christian Hafenecker. Es brauche "sofort massive Strafverschärfungen, damit sich eine derartige Tragödie nicht mehr wiederholen kann".

Attacken von Passanten auf Aktivistinnen

Zu einer zweiten Protestaktion kam es am Mittwoch auch beim Praterstern. Dort wurde die Letzte Generation von einer Gruppe Wissenschaftern der Scientists for Future unterstützt. Mit einer "Street Lecture" erklärten die Experten, "weshalb die Aktionen der Letzten Generation in unser aller Interesse sind". Im Zuge der Proteste kam es auch zu Attacken von Passanten gegen die Aktivistinnen und Aktivisten. Die Polizei ermittelt nun gegen unbekannte Täter. Gegen 8.30 Uhr waren alle Blockaden aufgelöst und der Verkehr floss wieder.

Die Letzte Generation ruft die Bundesregierung seit langem auf, sofort wirksame Maßnahmen zum Schutz des Klimas zu setzen. Dazu gehören Tempo 100 auf der Autobahn und der Stopp neuer Öl- und Gasbohrungen.

Grüne Brunnen in Vorarlberg

In Vorarlberg haben Mitglieder der Gruppe Extinction Rebellion in der Nacht auf Mittwoch in Vorarlberg über 20 Brunnen grün eingefärbt. Damit protestiere man gegen den von der Landesregierung betriebenen "Scheinklimaschutz", hieß es in einer Aussendung am Mittwochvormittag. Besonders kritisiert wurde von den Aktivisten die Abhaltung der EICF-Konferenz in Bregenz am vergangenen Wochenende.

Bei dem Treffen der EICF (International European Investment Casters Federation) von 7. bis 10. Mai hätten Lobbygruppen der Feingussindustrie ungestört "weitere dreckige Deals" verhandelt. Die Landesregierung halte auch an fossilen Großprojekten wie der Bodensee-Schnellstraße (S18) oder dem Stadttunnel Feldkirch fest, zu dem die Bauarbeiten schon begonnen haben. "Die grüne Farbe in den Brunnen ist genauso nutzlos wie die leeren Versprechungen der Landesregierung. 2019 wurde der Klimanotstand ausgerufen, aber bis heute hat die Landesregierung keine Maßnahmen ergriffen. Dieser Verzicht auf Führung ist kriminell", stellte ein 25-jähriger Aktivist fest.

Für den Farbeffekt wurde laut Angaben der Aktivistinnen und Aktivisten Uranin verwendet. Die Farbe sei ungiftig und für die Umwelt unbedenklich, hieß es. Der Farbeffekt verschwinde innerhalb weniger Stunden. Bereite Ende März hat es eine ähnliche Aktion in Wien gegeben.

Klimaprotest in Berlin vor VW-Hauptversammlung

Zahlreiche Klimaaktivisten haben am Mittwoch vor dem Ort der Hauptversammlung von Volkswagen in Berlin protestiert. Die Polizei verhinderte den Versuch von Vertretern der Gruppe Scientist Rebellion, sich auf dem Platz vor dem City-Cube festzukleben. In einem Flugblatt warf die Initiative dem deutschen Autobauer vor, "zu viele Autos" zu verkaufen.

Der Ausstoß von CO2 durch den Transportsektor habe ein bedrohliches Ausmaß angenommen. VW könne durch ein Umschwenken der Produktion hin zu Zügen und Schieneninfrastruktur positiv zur Verkehrswende beitragen.

Vertreter der Gruppe Letzte Generation, die durch zahlreiche Klebeaktionen auf Straßen bekannt ist, blockierten nach eigenen Angaben den Verkehr zum Ort der Aktionärsversammlung von Volkswagen. Vor dem Veranstaltungsort war davon allerdings nichts zu sehen. Dort protestierten auch Vertreter der uigurischen Minderheit in China. Die Umweltorganisation Fridays for Future hatte ebenfalls eine Kundgebung vor dem City-Cube angemeldet. (red, APA, 10.5.2023)