Auf Konkreteres in Sachen Kartellrecht muss die Öffentlichkeit warten – zumindest vorerst.

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Es war ein geradezu emotionaler Auftritt, den Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) Dienstagabend im ORF-"Report" hinlegte. Lebensmittelkonzerne würden aufgrund ihrer Marktmacht Preiserhöhungen "ungefiltert" weitergeben, Preissenkungen allerdings nicht. Die Instrumentarien der Wettbewerbsbehörde (BWB) sollen deshalb "verschärft" werden, andernfalls sei man mit "ungleichen Waffen" ausgestattet. Die Gesamtinflation ist in Österreich höher als im Euroraum, einer der vielen Gründe dürfte mangelnder Wettbewerb sein.

Recht viel konkreter wurde es in Sachen Kartellrechtsreform Dienstagabend aber nicht, und auch nicht Mittwochmittag, als die Koalition in einer großen Pressekonferenz ihr Antiteuerungspaket präsentierte. Auf Nachfrage beim Wirtschaftsministerium müssen "weitere Schritte und Maßnahmen in diesem Bereich erst im Detail ausgearbeitet werden". Deutschland ist bei einer Verschärfung des Kartellrechts indes schon weiter: Das Bundeskabinett einigte sich dort kürzlich auf einen Gesetzesentwurf.

"Unbefriedigende Ergebnisse"

Sowohl das deutsche Kartellamt als auch die österreichische Wettbewerbsbehörde können sogenannte Branchenuntersuchungen durchführen – hierzulande ist das derzeit in der Lebensmittelbranche der Fall. Die Wettbewerbshüter durchleuchten den Markt, indem sie Statistiken auswerten, Infos von Unternehmen einholen und Befragungen durchführen.

Die Ergebnisse derartiger Untersuchungen sind aber oft "unbefriedigend", wie es Viktoria Robertson formuliert, Professorin für Kartellrecht an der Wirtschaftsuniversität Wien und der Universität Graz. Ganz konkret zeigte sich das zuletzt bei der Untersuchung des Treibstoffmarkts: Die BWB stellte bei Raffinerien teils eine Verdreifachung der Margen fest, fand jedoch keine Beweise für illegale Absprachen zwischen den Unternehmen. Die Behörde konnte daher zwar Empfehlungen abgeben, aber keine konkreten Maßnahmen setzten.

"Klauen und Zähne"

Vieles spricht dafür, dass das bei der Untersuchung der Lebensmittelbranche ähnlich ablaufen wird: Die Handelsriesen Rewe, Spar und Hofer beobachten einander genau und achten penibel darauf, was die Konkurrenz für Brot, Milch und Co verlangt. Rechtliche Handhabe gibt es gegen ein derartiges "Parallelverhalten" großer Player aber nicht. Damit die Behörde eingreifen darf, müsste sie Absprachen beweisen können. Die gibt es aber entweder gar nicht, oder sie lassen sich nicht belegen. Genau dort setzt nun Deutschland an.

Schon Mitte letzten Jahres befand der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), dass die Schwelle für Markteingriffe aufgrund der Beweiserfordernisse zu hoch ist. Er forderte ein Kartellrecht mit "Klauen und Zähnen". Maßnahmen sollen nicht erst möglich sein, wenn es sichere Beweise für Absprachen gibt, sondern schon dann, wenn einige wenige Player zu viel Macht haben. Die Konsequenzen könnten vielseitig sein: Unternehmen könnten etwa dazu verpflichtet werden, bestimmte Filialen zu verkaufen oder – in letzter Konsequenz – gänzlich entflochten werden. Eine ähnliche Rechtslage gibt es derzeit im Vereinigten Königreich. Dort wirken die Möglichkeiten der Behörden abschreckend, sodass sie in der Praxis kaum eingesetzt werden müssen.

Eingriff ins Eigentum

Natalie Harsdorf-Borsch, Österreichs oberste Wettbewerbshüterin, beurteilte den Vorschlag aus Deutschland im STANDARD-Interview als "interessant". Es gebe hohe Erwartungen an die Behörde und "marktstrukturelle Probleme", aber keine Instrumente, um gegenzusteuern. Ob man diese Instrumente schaffen soll, wollte Harsdorf-Borsch nicht explizit sagen. Das sei eine "politische Entscheidung".

In der österreichischen Politik gilt der Vorschlag – zumindest bisher – als äußerst umstritten. Aus dem Wirtschaftsministerium hieß es vor mehreren Wochen auf Anfrage, dass man die Diskussion in Deutschland "genau beobachte", der Vorschlag aber "unions- und verfassungsrechtliche Fragen" aufwerfe, weil er ins grundrechtlich geschützte Eigentumsrecht eingreife. Rechtskonformes Verhalten von Unternehmen zu strafen wäre ein "Paradigmenwechsel im Kartellrecht".

Dass Österreich dem deutschen Beispiel folgt, ist zum derzeitigen Zeitpunkt also unwahrscheinlich. Auf Konkreteres muss die Öffentlichkeit aber warten – zumindest vorerst. Für Freitag sei ein Termin zwischen Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) und Fachleuten angesetzt, heißt es aus dem Ministerium. (Jakob Pflügl, 11.5.2023)