Joaquin Phoenix nimmt in "Beau Is Afraid" den schwierigen Weg zurück zu seiner monströsen Mutterfigur auf sich: Ari Asters neuer Film taucht tief ein in männliche Traumata.

Leonine

Die Schublade ist vielleicht eines der wichtigsten Requisiten im Leben von Künstlern. Bei Ari Aster, geboren 1986 in New York, lag schon Mitte der Zehnerjahre ein Drehbuch in der Schublade, in dem es um einen Mann gehen sollte, der sich ziemlich exzessiv fürchtet. Aster drehte damals gerade seinen zweiten Film, Midsommar, nach einem Drehbuch, auf das Regisseur und Produzenten so große Hoffnungen setzten, dass es nicht in der Schublade blieb.

Midsommar erzählt von ein paar jungen Amerikanern, die in Schweden in eine merkwürdige Sektensonnenwende geraten. Sie erleben alles, was einer nicht allzu zensierten Fantasie zwischen sexueller Initiation und ziemlich groben Gewaltmomenten so einfallen kann.

Während Ari Aster an Midsommar arbeitete, und dann auch noch, als klar wurde, dass er einen neuen Kultfilm geschaffen hatte, lag das Drehbuch zu Beau Is Afraid in einer Schublade. Und es wartete auf seinen Moment. "Natürlich war es Midsommar, das den Moment schuf", erzählt Ari Aster Ende April in einer Videoschaltung mit dem STANDARD. "Ohne meine beiden ersten Filme, auch ohne Hereditary (2018), hätte ich diesen schwierigen Stoff vielleicht nie verwirklichen können." Zehn Jahre lag der Stoff in der Schublade, sagt Aster. "Dann nahm ich ihn mir wieder vor, und dann ging ich noch ein wenig weiter damit."

Angst vor dem Orgasmus

Man könnte auch sagen: Der Regisseur ging mit seiner Geschichte von Beau, der insgesamt sehr angstbereit ist, nicht nur weiter. Er ging aufs Ganze. Er schuf einen Film, der drei Stunden lang alles ins Zeichen einer sehr speziellen Neurose stellt. Denn konkret fürchtet sich Beau Wasserman vor seinem ersten Orgasmus. Seine Mutter hat ihm nämlich eingetrichtert, dass sein Vater in dem Moment starb, in dem sich der Same, dem Beau entstammt, in die Mutter ergoss. Ein solches Omen kann einem das Geschlechtsleben ganz schön vermiesen, und entsprechend unlocker ist Beau.

"In der ersten Phase", erinnert sich Ari Aster an frühere Fassungen des Drehbuchs, "lief der Film deutlicher auf eine Komödie hinaus. Als ich mich dann wieder dransetzte, wollte ich den Film einfach in die Richtung führen, die er logisch verlangt." Diese Logik ergibt einen schrägen Genremix: einen surrealen Bad Trip quer durch Amerika, eine übermächtige Performance von Joaquin Phoenix, der selbst den Joker wie einen Biedermann aussehen lässt, eine therapeutische Reise an die schwärzesten Punkte von Subjektivität. Eine Rückkehr zu einer monströsen Mutterfigur.

A24

Diese Register finden im Kino von heute nicht immer leicht Platz, jedenfalls nicht, wenn man sie so wild und unbekömmlich mischt wie Aster. Er sagt auch gleich, dass er Beau Is Afraid am liebsten überhaupt nicht einordnen würde, aber das ist schwierig, denn seine ersten beiden Filme waren doch aus dem Horrorfach, und das Business (und auch das Publikum) geht nun einmal immer vom Bisherigen aus. "Ich weiß, es gehört dazu, dass man Filme sozusagen ins richtige Regal räumt, und weil ich Beau Is Afraid liebe und stolz darauf bin, mache ich da mit." Gleichwohl steht an diesem Punkt des Gesprächs die Möglichkeit im Raum, auf jede Einordnung zu verzichten. Also überhaupt lieber das Publikum mit der weirden Vision von Beau Is Afraid allein zu lassen.

Aster ist aber dann doch Profi genug, diesem Impuls nicht nachzugeben. Er muss ja auch noch die Produktionsfirma loben. Das Kultstudio A24, schon seit ein paar Jahren Hollywoods heißestes Boutique-Projekt, hat Aster einen künstlerischen und finanziellen Vorschuss eingeräumt, der sicher eine Ausnahme darstellt. "A24 ist eben so besonders, weil sie so besondere Dinge tun. Wenn es etwas gibt, was nahe an eine Carte blanche ging, dann hatte ich das."

"Ich bin angstbeladen, aber mir ist noch nie ein Penismonster erschienen."
Foto: Reuters

Carte blanche, ein magisches Wort für eine Politik der Nichteinmischung, wo doch sonst immer die "Hinweise" und "Ratschläge", die berühmten "notes", nur so auf die Regisseure einprasseln. Beau Is Afraid dauert drei Stunden, allein das schon wäre ein Graus für die meisten Firmen. Und die drei Stunden machen es dem Publikum nicht leicht, sie ziehen sich durchaus. "Die Leute werden sich einen Weg durch den Film suchen müssen", sagt Ari Aster. "Joaquin und ich haben uns am Set immer wieder spaßhalber gefragt: Wo ist eigentlich unser Aufpasser? Kann es wirklich sein, dass man uns das alles einfach machen lässt? Und dann haben wir uns gegenseitig angefeuert, immer noch weiter zu gehen."

Beau Is Afraid führt auch tief in die Tradition eines spezifisch jüdischen Existenzialismus. "Der Film ist durch und durch jüdisch. Das Jüdische ist kein Aspekt. Es ist alles. Der Pessimismus, die Neurosen, alles jüdisch. Wer da selbst drinsteckt, weiß Bescheid."

Das heißt also: Ari Aster steckt da wirklich auch selbst ganz tief drin in seinem Film? Alles autobiografisch? "Alles ist persönlich, nicht autobiografisch. Ich bin ein angstbeladener Typ. Aber mir ist noch nie ein Penismonster erschienen. Aber das, was im Film zu sehen ist, kommt aus mir. Ich habe tief in mir gegraben. Über den Rest dürfen Sie spekulieren." (Bert Rebhandl, 11.5.2023)