Bryson DeChambeau kritisiert die Pläne der Mächtigen im Golf als "einfallslos".

Foto: AP Photo/Tony Gutierrez

Bryson DeChambeau blickte entschlossen auf den See. Er schnaufte wie ein Kugelstoßer oder ein Gewichtheber. Sein mächtiger Oberkörper spannte sein Poloshirt, dann stellte er sich an das Tee, an jenen kleinen Stift, von dem Golfspieler ihre Bälle abschlagen. Und dann prügelte DeChambeau den Golfball knapp 340 Meter weit über den See.

Als der Golfball jenseits des Wassers auf dem Grün gelandet war, riss der Amerikaner beide Arme in die Höhe. Das Publikum hinter ihm jubelte wie bei einem Tor im Fußball. "Es hat sich fast wie ein Turniersieg angefühlt. Ich habe den Fans gegeben, was sie wollten", sagte DeChambeau später über seinen Schlag.

Powergolf

Die Szene ereignete sich beim sogenannten Arnold Palmer Invitational, einem Golfturnier im US-Bundesstaat Florida, im März 2021. Statt wie alle übrigen Golfer an diesem Tag bei jenem sechsten Loch u-förmig ums Gewässer zu spielen, wagte DeChambeau den Versuch, den Ball einfach mit Urgewalt über den See zu schlagen. Und er hat es geschafft.

Der muskelbepackte Amerikaner DeChambeau gilt als einer der bekanntesten Vertreter des modernen Powergolfs, in dem immer weiter geschlagen wird. Spieler wie er haben Unterhaltungswert, stellen den Golfsport aber vor neue Fragen. Etwa diese: Ist es im Sinne des Spiels, wenn die Platzarchitektur der traditionellen Golfturniere von Weitenjägern wie DeChambeau schlicht überwunden wird?

Wie weit ist zu weit?

Die zwei maßgeblichen Golfverbände, die United States Golf Association (USGA) und der britische Royal and Ancient Golf Club of St Andrews (R&A), wollen daher Änderungen, damit Golfbälle bald weniger weit fliegen können. Dafür sollen die Hersteller andere Bälle entwickeln.

Seit dem Jahr 1976 gilt bei Profiturnieren ein Standard, dass Bälle nicht weiter als knapp 290 Meter (317 Yards) unterwegs sein sollen. Viele Profis schlagen mittlerweile aber deutlich mehr als 300 Meter weit. Das neue Regelwerk werde Bälle vorschreiben, die die besten Abschläger zumindest 13 bis 14 Meter weniger weit befördern können, teilten USGA und R&A in einer gemeinsamen Aussendung im vergangenen März mit.

Neue Bälle wohl nur bei männlichen Profis

Mike Whan, Chef der USGA, sagte, "die vorhersehbaren weiteren Verbesserungen im Spiel werden ein großes Problem für die nächste Generation darstellen, wenn wir uns nicht bald damit befassen". Der Engländer Martin Slumbers, Vorsitzender der R&A, erklärte: "Das ist ein bedeutendes Thema für das Golf und eines, das dringend angesprochen werden muss, wenn unser Sport seinen einzigartigen Reiz bewahren soll."

Ab Jänner 2026 sollen die Bälle bei den Männerbewerben nach Wunsch der Verbände dann weniger schnell und weniger weit über die Plätze fliegen. Allerdings soll die Änderung nur die schmale Schicht der Profis und nicht die viel größere Welt der Freizeitgolfer betreffen.

Nicht nur der Stärkere soll siegen können

Neue Golfplätze werden zwar ohnehin größer gebaut. Die traditionellen Major-Turniere wie das Masters in Augusta in den USA und die British Open sollen aber weiterhin auf alten, kleineren Plätzen gespielt werden.

Die Tendenz zu größeren Schlagweiten und Plätzen wollen die Regelhüter stoppen, weil diese "das Grundprinzip untergräbt, dass ein breites und ausgewogenes Spektrum an Spielfähigkeiten der primäre Faktor für den Erfolg im Golf bleibt", wie USGA und der R&A schreiben.

Die Titleist-Mutterfirma Acushnet will an ihren Bällen nichts verändern.
Foto: Getty Images

Golfsport am Scheideweg

Widerstand regt sich bei den Herstellern der Bälle. Die bei Profiturnieren meistgespielten Bälle sind der Titleist Pro V1 und der Titleist Pro V1x. Hinter der Golfmarke Titleist steht der US-Konzern Acushnet, und dieser möchte an den Bällen nichts verändern.

Bei Acushnet argumentiert man, wie übrigens auch die Verbände, mit den Grundfesten und Traditionen des ehrwürdigen Spiels. Allerdings sieht man die Sache genau umgekehrt. "Diese Gabelung würde den Golfsport in Elite- und Freizeitsport spalten, Verwirrung stiften und die Verbindung zerstören, die zum bleibenden Wesen des Spiels gehört", kommentierte Acushnet die Bestrebungen der Verbände.

Das Geschäft mit den Bällen

Markus Brier, früher Österreichs bester Golfspieler, weiß die nicht ohne Pathos geführte Debatte nüchtern einzuordnen. "Die Industrie will natürlich Bälle an den Durchschnittsgolfer verkaufen. Der Amateur ist die Hauptkundschaft, und der Amateur will möglichst weit schlagen", sagt Brier zum STANDARD.

Der Wiener Markus Brier schlägt seit 2018 auf der European Seniors Tour ab.
Foto: Dylan Buell/Getty Images/AFP

Er könne die Verbände verstehen, dass neue Bälle kommen sollen. "Es klingt zwar toll, dass viele Spieler den Ball 300 Meter weit schlagen. Die alten, klassischen Plätze drohen dadurch aber uninteressant zu werden."

Wut bei Weltklassespielern

Im Lager der Spieler gibt es aber prominente ablehnende Stimmen zur Reform. "Meine größte Frage ist: Wir sind in einer goldenen Ära des Golfsports. Viele Menschen schauen zu, der Sport wächst. Warum verändert man etwas, das funktioniert?", ärgerte sich der spanische Superstar Jon Rahm bei einer Pressekonferenz in Austin, Texas. Auch Muskelgolfer DeChambeau tobte. "Das ist die einfallsloseste, am meisten spielzerstörende Sache, die man machen kann", sagte der Kalifornier.

ÖGV-Generalsekretär Robert Fiegl glaubt, dass die großen Organisationen im Weltgolf ihr Vorhaben durchsetzen werden.
Foto: ÖGV

Robert Fiegl, Generalsekretär im Österreichischen Golfverband (ÖGV), sagt zum STANDARD, dass beide Seiten in der Debatte gute Argumente haben. "Ich fände es aber schade, wenn die Profis andere Bälle bekommen. Das Schöne am Golfsport ist, dass wir alle mit dem gleichen Equipment spielen, egal ob Anfänger oder Profi", erklärt er. Wobei Fiegl betont, dies sei seine persönliche Meinung und nicht die offizielle Position des ÖGV.

Bei einer Konferenz des R&A in St Andrews habe er kürzlich verfolgen können, wie der Stand der Debatte ist. USGA und R&A wollen zwar noch bis August die Stimmen von allen möglichen Beteiligten anhören. "Ich glaube aber, dass die Entscheidung zugunsten eigener Bälle für Profigolfer fallen wird", berichtet Fiegl von seinen Eindrücken aus Schottland.

Reduktion beim Dimple wäre simpel

Natürlich haben sich die Eigenschaften der Bälle in der langen Geschichte des Golfsports schon öfter verändert. Derzeit sollen sie einen Durchmesser von mindestens 42,67 Millimetern haben und höchstens 45,3 Gramm wiegen. Charakteristisch sind die Dellen in der harten Kunststoffschale, jeder Golfball hat 300 bis 450 dieser sogenannten Dimples.

Die Dimples, eine etwa 115 Jahre alte Erfindung, ermöglichen den Auftrieb der Bälle und lassen sie weiter fliegen. Im 19. Jahrhundert spielte man noch mit Lederbällen, die man mit Federn stopfte. Danach kamen die ersten Gummibälle, auch sie waren noch glatt und rund.

Irgendwann bemerkten die Spieler, dass ein bereits vielgespielter Gummiball mit Dellen und Kerben weiter flog. So kam es zum Siegeszug der Dimples. "Man muss die Zahl der Dimples nur verringern – und der Ball fliegt viel kürzer. Aus technischer Sicht wäre eine Änderung simpel", weiß ÖGV-Mann Fiegl.

PGA TOUR

Ballevolutionen

Auch andere Ballsportarten durchliefen Materialevolutionen. Frühe Fußbälle bestanden aus Leder und Schweinsblasen, den ersten vollsynthetischen Fußball bei einer WM erlebten die Fans erst 1986 in Mexiko. Tennisbälle waren jahrzehntelang meist weiß, erst 1972 legte der Weltverband Gelb als neuen Standard fest, weil die Farbe im Fernsehen den besseren Kontrast versprach.

So gilt im Golf, wie im gesamten kommerzialisierten Sport, die Maxime: Der Ball rollt immer weiter. Nur eben nicht immer der gleiche Ball.