Künstliche Intelligenz – Segen und Fluch?
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Der Drang nach tiefer Selbsterkenntnis ist eines der großen Laster der Menschheit. Eingebrockt haben es uns die alten Griechen mit ihrer Forderung "Erkenne dich selbst". Seither gab es immer wieder markante Einzelfälle von Selbsterkenntnisstrebern, vom heiligen Augustinus über Michel de Montaigne bis zu den Grübeleien Hitlers in seinem Bestseller.

Wie der Zustand der Welt und der der österreichischen Angelegenheiten beweist, wurden in dieser Disziplin seit ihrer Erfindung keine nennenswerten Fortschritte gemacht. Erst mit der zunehmenden Verdrängung der natürlichen durch künstliche Intelligenz kommt die Sache in Fahrt, öffnet sich dem Streben nach Selbsterkenntnis ein neues, breiteres Tor.

Zwei Selbstversuche

Allein an einem Wochenende kam es in Wien zu zwei diesbezüglichen Selbstversuchen, und man darf annehmen, dass es sich dabei nur um die Spitzen eines Eisbergs an Wahrheitssuche gehandelt hat. In diesem Blatt berichtete der Kolumnist Veit Dengler, er habe bei ChatGPT die Frage eingegeben: Wer ist Veit Dengler? Sicherheitshalber gleich zweimal. In beiden Fällen fand er sich auf das Schmeichelhaftste in diverse Managementfunktionen versetzt, die er nie eingenommen hat. Alles falsch!, erkannte er.

In dieser Situation neigt wohl jeder dazu, der KI die Schuld zu geben, statt sich zu fragen, was man selber im Leben falsch gemacht hat. Das ist menschlich verständlich, versteckt sich doch hinter dem Vorwand, KI mittels NI testen zu müssen, vielleicht die Sehnsucht, dem Schrott des Internets Erkenntnisse über sich abzupressen, die man an sich noch nicht entdeckt hat.

Doch das sind nur Anfangsfehler auf beiden Seiten, wie sie auch dem Krone-Querdenker Klaus Woltron unterliefen. Er fragte die KI nach sich selbst und erfuhr: "Klaus Woltron war ein österreichischer Journalist und Chefredakteur der Kronen Zeitung ... Er verstarb im Jahre 2018 im Alter von 62 Jahren."

So quer wie Woltron denkt KI schon lange, die beiden bleiben einander nichts schuldig. Das vorgeschlagene Sterbedatum muss nicht irritieren, fand doch ein Krone-Leser und KI-Guru, Woltrons Kolumne ließe sich in zwei Jahren durch eine KI ersetzen, man bräuchte dafür nur ein paar Krone-Artikel mit Pressetexten der FPÖ und ÖVP samt einer Prise Cicero zu verrühren.

KI in der Politik

Möge sich die KI auch noch nicht von allen Kinderkrankheiten befreit haben, zeigt sich gerade in der Politik, wie nötig sie uns in einer Zeit werden kann, in der NI immer seltener in der Lage ist, im politischen Personal jene Selbsterkenntnis zu produzieren, die man von ihm in einer Demokratie einfordern darf. Es ist, als hätten die alten Griechen gefordert: Überschätze dich selbst! Und verlange, deine Partei möge sich dir bedingungslos unterordnen. Eine Oligarchin wird dir zu Medienmacht verhelfen, dein Charme macht’s möglich. Nur aus dem Burgenland kann ein Retter erstehen, worauf sonst hätte das ganze Land gewartet?

Eine Nachfrage bei ChatGPT, und manches wäre vielleicht anders gekommen. Schön, dass wenigstens in einem Fall KI und Selbsterkenntnis schon jetzt harmonieren: Erster gründlich entwurmter Volkskanzler der Festung Österreich. Regiert auf streng wissenschaftlicher Basis nach dem Prinzip "Drei Bier gehen immer". Mumien und Ausländer unerwünscht. (Günter Traxler, 12.5.2023)