Straßenblockade der Letzten Generation am 9. Mai in Wien.

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Buschmann warnte vor "straßenschlachtartigen Zuständen", sieht sich von Medien aber missverstanden.

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Ein Gipfel der deutschsprachigen Justizminister brachte Marco Buschmann diese Woche ins niederösterreichische Langenlois. Im Zuge des Treffens sprach der FDP-Politiker mit seinen Amtskolleginnen über eine verstärkte Zusammenarbeit bei Internetkriminalität – und mit dem STANDARD über eine schärfere Vorgangsweise gegen sogenannte Klimakleber.

In Deutschland machen Klimaaktivistinnen der Letzten Generation mit Straßenblockaden und anderen Protesten Druck auf die Politik.
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STANDARD: Herr Bundesjustizminister, sind Sie gut nach Langenlois gekommen? Keine Klimakleber auf der Straße?

Buschmann: Nein, es waren keine Klimakleber auf der Straße. Ich freue mich, hier gut angekommen zu sein. Ich habe ganz viele tolle Urlaubserinnerungen aus meiner Kindheit an Österreich.

STANDARD: Sie haben sich in den vergangenen Wochen äußerst kritisch gegenüber den Aktivistinnen und Aktivisten geäußert. Haben Sie für das Anliegen gar kein Verständnis?

Buschmann: Es ist natürlich völlig in Ordnung, darüber zu streiten, wie wir die Klimaziele erreichen. Es ist auch das gute Recht, dass Aktivisten von ihrem Demonstrationsrecht Gebrauch machen. Aber wenn sie ganze Städte lahmlegen oder fremdes Eigentum beschädigen, dann muss der Rechtsstaat seine Gesetze verteidigen.

STANDARD: Klimaaktivisten würden sagen, dass sie es mit Argumenten versucht haben. Jetzt leisten sie zivilen Widerstand, so wie das auch in der Geschichte immer wieder der Fall war, etwa bei den Suffragetten oder bei Antirassismusbewegungen. Gibt es nicht Situationen, in denen ziviler Ungehorsam notwendig ist?

Buschmann: Natürlich hat es immer wieder Demonstrationsformen gegeben, die besondere Aufmerksamkeit erzeugen sollten, das ist alles in Ordnung. Trotzdem ist doch klar: In der Demokratie streiten wir mit Argumenten. Und: Das Strafrecht gilt für alle! Übrigens hat eine Mehrheit der Bevölkerung für diesen Protest der Klimakleber kein Verständnis. Die Aktionsform schadet deshalb dem Klimaschutz.

STANDARD: Sie fordern immer wieder, dass das Strafrecht voll zur Anwendung kommen soll. Ist das denn derzeit nicht der Fall aus Ihrer Sicht? Sind Polizei und Gerichte zu lasch?

Buschmann: Unsere Gesetze sehen entsprechende Strafrahmen vor, und die Gerichte beginnen nun damit, bei Aktivisten, die mehrfach auffällig geworden sind, Freiheitsstrafen ohne Bewährung auszusprechen. Diese Urteile zeigen, dass man im Wiederholungsfall nicht mit einer Geldstrafe davonkommt, die einem möglicherweise jemand anderer bezahlt.

STANDARD: Sie schließen also aus, die Strafen zu erhöhen?

Buschmann: Unsere Gerichte haben mit den aktuellen Strafrahmen die Möglichkeit, eine entsprechende Antwort auf die Taten zu geben. Im Wiederholungsfall gibt es jetzt auch Freiheitsstrafen. Deshalb sehe ich im Moment keinen Grund, die Gesetze zu ändern.

STANDARD: Sie haben kürzlich gewarnt, dass sich die Situation den "straßenschlachtartigen Zuständen" der 1920er-Jahre in Deutschland annähern könnte. Es gab viel Kritik, würden Sie das wieder so formulieren?

Buschmann: Die Äußerungen wurden in der medialen Debatte von anderen immer weiter zugespitzt, und irgendwann hat man mir vorgeworfen, ich hätte die Klimakleber mit den Nazis verglichen. Das ist objektiv falsch. Worum es mir geht, ist einfach zu verstehen: Wenn wir beginnen, bei bestimmten politischen Anliegen großzügiger zu sein, oder mal eben ein Auge zudrücken, würden das andere Gruppen auch für sich in Anspruch nehmen. Dann kann es passieren, dass sich Kriminalität und Gewalt auf den Straßen immer weiter aufschaukeln. Wir leben in einem Land, in dem wir schon mal schlimmste Zustände auf den Straßen hatten. Die Aufgabe des Rechtsstaates ist es, eine solche Eskalation zu verhindern – und auch schon den beginnenden Weg dorthin.

STANDARD: Das heißt, Sie würden es so wieder sagen.

Buschmann: Nur, weil einige meinen, meine Aussagen falsch zuspitzen zu müssen, lasse ich mich nicht davon abhalten, mich an der Meinungsdebatte mit klaren Aussagen zu beteiligen.

STANDARD: Sie haben wohl gewusst, dass die Aussage polarisieren wird.

Buschmann: Ich habe begründet, warum es wichtig ist, gegen jede Form von Rechtsbruch vorzugehen. Wir müssen vermeiden, dass es auf unseren Straßen zu einer Eskalation der Kriminalität kommt. Das ist mir wichtig – und deshalb sage ich es.

STANDARD: Die FDP positionierte sich zuletzt stark als Autofahrerpartei, auch in der Debatte über das Verbrenner-Aus. Kommt Ihnen da die Diskussion über Klimakleber nicht eigentlich sehr gelegen?

Buschmann: Die FDP positioniert sich als technologieoffene Klimaschutzpartei. Wir haben uns dafür eingesetzt, den Technologiepfad der E-Fuels offen zu halten, statt hier Verbote zu verhängen. Wir wissen nicht, ob sich diese Technologie durchsetzen wird, aber mit E-Fuels könnte man auch die Bestandsflotte an Verbrennern klimaneutral machen. Wir wollen die innovativen Ingenieure und klugen Vordenker nicht ausbremsen. Am Ende entscheidet der Wettbewerb.

STANDARD: Jetzt zu etwas ganz anderem: Grund für das Treffen in Österreich ist unter anderem eine verstärkte Zusammenarbeit bei Internetkriminalität. Im Fall Kellermayr, einer Ärztin, die massiven Bedrohungen im Internet ausgesetzt war, hatte man nicht den Eindruck, dass die Zusammenarbeit zwischen Österreich und Deutschland einwandfrei funktioniert. Was könnte man verbessern?

Buschmann: Wir haben eine sehr gute Kooperation mit Österreich. Dass es bei Ermittlungen im Netz immer wieder Probleme gibt, kann aber niemand in Abrede stellen. Wir bemühen uns sehr, dass das Internet ein Raum der freien Rede bleibt, aber auch dort die Grenzen des Rechts eingehalten werden. Wir haben in einigen Ländern in Deutschland bereits spezialisierte Staatsanwaltschaften und arbeiten derzeit an einem digitalen Gewaltschutzgesetz.

STANDARD: Welche Verbesserungen planen Sie in der internationalen Kooperation?

Buschmann: Wir wollen den gegenseitigen Austausch verstärken. Wir haben ja gesehen, dass gerade auch während der Pandemie die Aggressivität im Netz zugenommen hat. Wir wollen enger miteinander kooperieren, um dieses Thema in den Griff zu bekommen. Wir sind auch interessiert an den Erfahrungswerten anderer Länder.

STANDARD: Österreichische und deutsche Behörden verwenden Daten, die aus ausländischen Überwachungsmaßnahmen stammen, die in unseren Ländern illegal wären. Zuletzt etwa Daten aus manipulierten Handys des FBI oder Daten aus den Encrochats, die von Frankreich massenweise entschlüsselt wurden. Ist das nicht problematisch?

Buschmann: Wir müssen uns das immer im Einzelfall ansehen. Encrochat war ein Anbieter, der regelrecht genau auf die Bedürfnisse von Kriminellen zugeschnitten war. Das hat man nicht verwendet, um seiner Mutter zum Geburtstag zu gratulieren. Es ging hier also nicht um eine Massenüberwachung von alltäglicher Kommunikation, sondern um ein zielgerichtetes Vorgehen gegen den Anbieter Encrochat, über dessen Geräte vor allem Kriminelle kommunizierten. Ich teile in der Tat den Gedanken, dass es wichtig ist, dass der Rechtsstaat seinen Prinzipien auch immer selbst treu bleiben muss.

STANDARD: Besteht nicht die Gefahr, dass man "schmutzige" Ermittlungsarbeit an andere Staaten auslagert, wenn man die Daten dennoch verwendet?

Buschmann: Für die Verwendung von Ermittlungsergebnissen aus anderen Staaten gibt es klare rechtsstaatliche Regeln. Diese müssen natürlich eingehalten werden. Im Hinblick auf die Nutzung der Encrochat-Daten ist derzeit ein Verfahren vor dem EuGH anhängig. Wenn es in den Daten konkrete Hinweise auf strafbare Handlungen gibt, ist es meiner Meinung nach grundsätzlich richtig, sie auch zu nutzen. Über die Verwertbarkeit der Daten werden aber im Einzelnen die Gerichte entscheiden. Bei der Strafverfolgung im digitalen Raum sind wir auf eine funktionierende grenzüberschreitende Zusammenarbeit angewiesen. Wir nutzen zum Beispiel auch im Kampf gegen Kinderpornografie vielfach Daten von Providern, die ihren Sitz in den USA haben. Die geben entsprechende Hinweise über eine amerikanische Institution an uns. Dabei entscheiden die Gerichte in jedem Einzelfall darüber, ob die Daten im strafgerichtlichen Verfahren verwertet und einer Verurteilung zugrunde gelegt werden dürfen.

STANDARD: Die ÖVP will es Medien verbieten, aus Akten zu zitieren, damit Chats nicht öffentlich werden, und nennt Deutschland als Vorbild. Das deutsche Zitierverbot wird aber häufig kritisiert, weil es die Pressefreiheit einschränkt und in der Praxis nicht funktioniert. Wie sehen Sie das?

Buschmann: Wir haben hier eine schwierige Abwägung zwischen der Pressefreiheit und den Rechten der Beschuldigten, die bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig gelten. Und natürlich kann eine bestimmte Form der Berichterstattung den Ruf und die Zukunft von Menschen vernichten. Deshalb haben wir eine Verantwortung gegenüber diesen Personen.

STANDARD: Das heißt, Sie wollen am deutschen Zitierverbot nichts ändern?

Buschmann: Ich habe den Eindruck, dass wir in Deutschland gut damit zurechtkommen. Das ist im Moment nicht der Schwerpunkt der deutschen Debatte. (Jakob Pflügl, 12.5.2023)