Zwischen Fiktion und Fakten: Die Künstlerin Laure Prouvost, die Frankreich 2019 auf der Biennale vertrat, ist für ihre fantastischen Rauminstallationen und ihren Humor bekannt.
Foto: Gene Pittman

In nur wenigen Sekunden ist man Laure Prouvost verfallen. Und wird in den Bann ihrer zauberhaften Welt gezogen. In ihr verbindet die französische Künstlerin Filme mit skulpturalen Objekten aus Glas, Ästen, Sand sowie allen möglichen gefundenen Objekten und schnürt sie zu raumgreifenden Installationen zusammen, die bis ins letzte Detail durchkomponiert sind. Auf möglichst vielen Sinnesebenen adressieren sie das Publikum.

Das tut die 45-jährige Künstlerin nun auch im unteren Geschoß der Kunsthalle Wien im Museumsquartier, das Prouvost in eine ihrer Fantasieoasen verwandelt hat. Die von Carolina Nöbauer kuratierte Ausstellung entstand in Kooperation mit den Wiener Festwochen, die Freitagabend eröffnet werden und bis 21. Juni laufen (siehe Infokasten).

Mobiles voll hybrider Objekte: federleicht und mit Substanz.
Foto: Kunsthalle Wien / Iris Ranzinger

Im Bann der Zauberin

Der Auftakt in der Kunsthalle findet in völliger Dunkelheit statt. Erst nach und nach gewöhnen sich die Augen, ein Scheinwerfer weist den Weg. Die international gefeierte Künstlerin, die Frankreich 2019 auf der Biennale in Venedig vertrat, hat nun ihre erste Soloshow in Österreich. Die Tatsache, dass sie der Ausstellungsraum an eine Art Höhle erinnerte, kam ihrem Vorhaben durchaus gelegen. "Die Ausstellung gräbt in unserer Vergangenheit und sucht dort nach Ahninnen", sagt Prouvost. Denn diese durch Sound (von Komponistin Elisabeth Schimana) und Licht choreografierte Gesamtinstallation versteht Prouvost als Hommage an alle Großmütter, Omas, Grannys, Babuschkas und Nonnas.

Das Faible der Künstlerin für Wortspiele zeigt der Ausstellungstitel Ohmmm age Oma je ohomma mama. Unter diesem etwas konfus wirkenden Namen – am besten laut auszusprechen – werden ihr neuer Film Here Her Heart Hovers sowie zarte Mobiles, an denen allerlei Objekte tanzen, präsentiert.

Herzstück der Schau ist Prouvosts neuer Film "Here Her Heart Hovers", in dem sich eine Gruppe von Frauen am Mittelmeer auf die Suche nach ihren eigenen Großmüttern macht.
Foto: Videostill / Laure Prouvost

Spaß mit Oktopus und Brexit

Die Figur der Großmutter tauchte bereits in der Vergangenheit in Prouvosts Werken auf. So in der Filmarbeit Wantee von 2013, für die sie mit dem renommierten Turner Prize ausgezeichnet wurde. In der Kunsthalle gedenkt sie nun unter anderem der Großmütter als wichtiger Vorkämpferinnen. "Ich wollte allen Frauen danken, die unserer Generation die Türen geöffnet haben", erklärt Prouvost beim Presserundgang und ruft im nächsten Moment ganz laut: "Omaaaaaaaaa!"

Genauso wie Fiktion und Fakten bei Prouvost ineinander übergehen und verschwimmen, tun es Spiel und Ernst. Die Künstlerin mit dem französischen Akzent ist bekannt für spontane Aktionen und ihren Humor.

So begann Prouvost 2019 auf der Biennale im Keller des französischen Pavillons in einer Nacht-und-Nebel-Aktion einen Tunnel zum angrenzenden britischen Pavillon zu buddeln. Ein ironisches Statement zum Brexit – immerhin bot die Künstlerin, die lange in London gelebt hat und jetzt in Brüssel wohnt, so eine Fluchtmöglichkeit für unzufriedene Inselbewohner an.

"Ich wollte allen Frauen danken, die unserer Generation die Türen geöffnet haben", erklärt Prouvost beim Presserundgang und ruft im nächsten Moment ganz laut: "Omaaaaaaaaa!"
Foto: Kunsthalle Wien

Mit einer ähnlich politischen und zugleich verspielten Aktion erregte Prouvost in London Aufmerksamkeit, als sie doppeldeutige Spruchbanner am Flughafen Heathrow und in U-Bahn-Stationen anbrachte. Eine Kostprobe: "You are going in the wrong direction".

Viel subtiler, wenngleich omnipräsent sind Bezüge zu Klimawandel und Umwelt in ihren Arbeiten. Auf der Biennale, bei der ihr Beitrag Deep See Blue Surrounding You als Liebling galt, brachte sie Migration, Meerestiere und Zivilisationsmüll in ihrer Installation zusammen. Das Publikum stand stundenlang an, um den Pavillon samt Oktopussitzmöbel zu besichtigen. Den man – typisch Prouvost – durch den Hintereingang betreten musste.

Tanzender Müll voller Poesie

Ein ähnlich fluides Narrativ bietet nun die Schau in der Kunsthalle. Im zentralen dreiteiligen Film begleitet man eine Gruppe junger Frauen unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft, die sich in einer Höhle am Mittelmeer auf die Suche nach ihren eigenen Großmüttern und Erinnerungen an diese begeben.

Prouvost verbindet diese feministische Geschichte mit realen Persönlichkeiten wie der Barockmalerin Artemisia Gentileschi oder der Bürgerrechtlerin Rosa Parks. Zentrale Figur aber stellt – hier der Link zu Wien – die im Naturhistorischen Museum befindliche Figurine Venus von Willendorf dar. Sie ist quasi die Ober-Omama dieser fiktiven Genealogie.

Politisches Statement: Spuren aus der Natur und Zivilisationsmüll bringt die Künstlerin spielerisch zusammen.
Foto: Dániel Mátyás Fülöp

Wie auch andere Objekte aus dem Film taucht sie als Kopie in der magischen Landschaft der Ausstellung auf. In federleichter, fast kindlicher Manier drapiert Prouvost auf kleinen Sandinseln Insektengetier aus Glas, zerbrochene Handys und trockenes Holz. Unweit davon summt sogar ein Bienenstock!

Von der Decke baumeln zarte Mobiles voll gefundener Objekte – es ist Müll, den sie in Brüssel gesammelt hat, sagt die Künstlerin. Dennoch weisen diese Hybride aus natürlichen Materialien wie Laub oder Muscheln und diversen Plastikobjekten eine delikate Poetik auf. Bevor man sich aber gänzlich an diese verliert, leuchtet in einer Ecke eine Lampe in Form eines rosa Busens auf. (Katharina Rustler, 12.5.2023)