Der Literaturbetrieb sollte Müttern nicht den Mund verbieten.

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Ich wünsche mir einen barrierefreien Literaturbetrieb. Bereits beim gedanklichen Strukturieren dieser Worte, dieses Textes kriecht die Angst hoch. Nie wieder irgendwo irgendwas zu bekommen. Geächtet zu werden. Zu offenbaren, die Autorin dieses Textes lässt sich keinen patriarchalen Bullshit gefallen, allen voran nicht aus dem Literaturbetrieb, der so viel stärker, diverser und fairer sein könnte, als er zum jetzigen Zeitpunkt ist.

Aber dann denk ich mir: Ich sag’s doch eh schon bei Lesungen öffentlich und – wenn vorhanden – direkt in die Kamera: Wenn man nicht aufpasst, was man sagt, sich nicht benimmt als Frau (was auch immer das bedeuten mag) und Missstände benennt, die im Literaturbetrieb herrschen, kriegst du nichts mehr.

Schweigen brechen

Und dann denk ich mir, was, wenn mehr Menschen darüber sprechen würden, was, wenn andere sich trauen, was, wenn es endlich zu einem Ende kommen muss, wie mit Frauen und ewig nicht Favorisierten in dieser Branche umgegangen wird?

Ein großes Problem ist, dass oft eine einzige Person, meist ein Mann, entscheidet: Die kommt mir nicht ins Haus. Die wird nicht eingeladen. Umgotteswillen, die unterstützen wir nicht. Ja, auch bei Veranstaltern herrscht Misogynie. Natürlich muss man sein Programm nicht ständig mit Schriftstellerinnen füllen, aber einzelne seit Jahren auszuklammern ist wertlos und schade. Gemeint sein will jetzt natürlich keiner, wer sich wiedererkennt, darf sich zum Reflektieren zurückziehen. Wen es sticht, ebenso.

Pappn halten, fällt mir dazu ein. Als Schriftstellerin, außer du hast dir bereits einen hohen, sehr hohen Rang und mediale Aufmerksamkeit erarbeitet, darfst du bestenfalls die Pappn halten und hoffen, dass du durch dein braves und fügsames Verhalten doch noch ein Stück vom Kuchen bekommst (um danach wieder die Pappn zu halten).

Anna Herzig, "12 Grad unter Null". € 19,90 / 144 Seiten. Haymon, Innsbruck 2023
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Barrierefreier Literaturbetrieb

Ich wünsche mir also einen barrierefreien Literaturbetrieb. Frei von narzisstischen Machtgebärden alter, mittelalter und junger Männer, vor denen man sich ducken und in Acht nehmen muss, weil ebendieser Betrieb sie brechen, biegen und gewähren lässt, je nachdem, wie die Befindlichkeit dieser Patriarchen tagesaktuell aussieht. Wie kann es sein, dass diese Zustände unter aller Augen sichtbar geduldet werden?

Ich wünsche mir geschlossene Schwesternschaft, Hand in Hand und im Geiste, die sich all dem und noch viel mehr entgegenstellt. Wenn jetzt übersehen wird, von welchen Patriarchen eine für unzählige Menschen wichtige Branche regiert und gelenkt wird, wird es weitaus bitterer werden, als der Status quo im Literaturbetrieb ohnehin schon ist.

Mehr Menschlichkeit

Es gibt die guten Seiten, die wertschätzenden, empathischen Kolleg:innen, die helfen, die einen umarmen, einem gut zureden und helfen. Das möchte ich hervorheben. Es gibt sie, die großartigen, mutigen und menschlichen Verleger:innen, Lektor:innen, Agent:innen, Vertreter:innen und Kritiker:innen. Und diese möchte ich durch diese Zeilen umarmen und ihnen Danke sagen.

Würde allerdings der Literaturbetrieb regelmäßigen Audits unterliegen hinsichtlich seines angemessenen und wertschätzenden Overall-Verhaltens, der Entlohnung seiner Mitarbeiter:innen, fairer Verträge und der Häufigkeit von Gaslighting, Ghosting, gezielter Gängelung und anderer wertloser Spielchen zwischen Menschen, würde er bestehen?

Spielplatz der Abartigkeiten

Was wohl würde eine Mutter ihrem eigensinnigen Kinde entgegenzusetzen haben, wenn sich dieses partout nicht benehmen und lieber stundenlang im Dreck spielen möchte und anschließend jedes andere Kind nicht nur mit ebendiesem Dreck bewirft, sondern die Macht hätte, lebenslang Spielplatzverbot zu erteilen und alle, die dennoch diesen Spielplatz betreten, auf niederträchtigste Weise zu quälen?

Das Literaturbetriebspatriarchat ist zu einer monströsen Abartigkeit herangewachsen, das mehr zerstört, als es gut macht. Auf einem beinahe grenzen- und regellosen Spielplatz kann man sich genüsslich austoben, denn hier wird entschieden: Daumen rauf oder Daumen runter. Entscheiden tut es unter sich. Immer unter sich, wer bekommt, wer verliert und jene unter sich begräbt, die es nicht weiterkommen sehen will.

Ich wünsche mir einen barrierefreien Literaturbetrieb, der ohne Narzissmus und Soziopathie auskommt. Der Literaturbetrieb als ein achtsamer State of Mind würde mir sehr gefallen. Man stelle sich vor, es wäre möglich, dass Nachkommen ankommen dürfen, ohne an der Eingangstür nicht nur abgewiesen, sondern als unwürdig oder talentlos oder weiblich oder unwürdig, talentlos, weiblich und dashatdieschonverdient und aso,zudirwarsieauchgemein,naudaswirdsichaberauswirkenhöhöhö gekennzeichnet zu werden.

Schmerzender Stich

Ein Literaturbetrieb, der seine Mütter vergisst und die Liebe, die er von ihnen erhalten hat, kränkelt und leidet vor sich hin, an jedem Nervenende, und ein kleiner, schmerzender Stich wächst sich zu einer ernsthaften Entzündung aus, die man nicht mehr ignorieren kann oder möchte. Ein Literaturbetrieb, der patriarchalische und misogyne Strukturen nicht nur stärkt, stützt und derart festigt, dass seit Jahrzehnten kaum ein Aufbrechen möglich ist, und sich verhält wie kleine Jungs auf dem Spielplatz, die den bösen, grausigen Mädchen nichts gönnen, dem wünsch ich ein Rückbesinnen auf seine Mütter und den möchte ich fragen: Schämt ihr euch nicht?

Der Literaturbetrieb ist groß und vielfältig genug für alle künstlerischen Stimmen und soll kein Ort des Narzissmus und der Soziopathie für einige Akteure werden, vor denen (hauptsächlich) Frauen in jeglichen Funktionen zittern müssen. Keine Angst mehr zu haben und den zitternden Körper zu beruhigen scheint wichtiger, als Täter zu schützen. Das ist kein Satz, sondern ein Aufruf. Kein Stipendium, keine Förderung, kein Verlagsvertrag, sei es in Aussicht oder bestehend, keine Demütigung ist es wert, dass sich Frauen im Literaturbetrieb patriarchalen Misshandlungen aussetzen müssen.

Über jedes Schweigen freuen sie sich, reiben sich ihre Bäuche und lachen nicht mehr hinter unseren Rücken, sondern offensichtlich direkt ins Gesicht. Denn: Was soll ihnen schon groß passieren, die Seilschaften sind kaum noch auftrennbar.

Mama kommt gleich

Wer keine Mutter hat oder kein gutes Verhältnis zu seiner eigenen hat, dem biete ich gerne mütterliche Gespräche in geschütztem Rahmen an. Dann kann man nämlich bei einem Glas Saft und einem Stück Gugelhupf und ganz viel eieiei und Kopfstreicheln den Frauen, über die sie richten, wieder vergönnen, gönnen und wohlwünschen. Nein, Häme schmeckt nicht? Eventuell steigt beim Lesen dieses Artikels Röte in die Bäckchen? Gut so.

Das ist die Tonalität, mit der sich viele Frauen in sehr vielen Momenten innerhalb des Literaturbetriebs konfrontiert sehen. Wie kann das sein? Weshalb werden diese Missstände geduldet? Kolleginnen (egal ob Schriftstellerinnen oder Frauen in anderen Funktionen innerhalb dieser Branche) werden mundtot gemacht und hinausgedrängt, so weit ins Aus, dass ein erneutes Wegfinden sehr, sehr viel Kraft kostet, die man ihnen zuvor auf wenig humorvolle Weise durch mürbe machende Spielchen entzogen hat.

Was immer geht: austeilen, aber nicht einstecken können. Schädigen, aber keine Gegenwehr ertragen. Wenn Gegenwehr kommt, und sei es nur in Form von Widerstand, dann wird die Frau fertiggemacht. Niemals allein, versteht sich, das Patriarchat ist nur geschlossen stark und nur auf der immergleichen Bühne, die sie ihr Zuhause nennen.

Anna Herzig (*1987 in Wien) ist eine österreichisch-kanadische Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Mutter. Ihr zuletzt erschienener Roman schildert die Dystopie einer Frau in einer Welt für Männer und von Männern.
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Gute Nachrichten

Aber, und das ist die gute Nachricht: Weichen werden bereits gestellt, wenn auch nicht gleich offensichtlich für alle bemerkbar. Die Zeichen stehen auf Umbruch. Und das lässt mich, eine schreibende Mutter im Literaturbetrieb, die nicht den Mund halten will, wieder ruhiger schlafen. Was kann es uns denn, das Patriarchat, wenn wir zusammenhalten? Letztendlich wird es mehr brauchen als fancy, sich immer wiederholende Hashtags und die immergleichen, zugeflüsterten Namen, jener, die uns ins Aus drängen wollen.

Ein kollektives Brechen des Schweigens über die misogynen Zustände innerhalb des Literaturbetriebs und nicht nur dort, Offenlegung der Seilschaften, Nennung der Täter. Und von deren Opfern. In diversen Abendrunden, hämisch grinsend, wird sicherlich bedauert werden, dass mittelalterliche Zustände und Foltermethoden nicht mehr salonfähig sind. Der Frauenhass, der einem aus diesen Ecken entgegenspringt, denn um Subtilität muss man sich – so gut, wie sich das Literaturbetriebspatriarchat geschützt glaubt – keine Bemühungen machen, ist beängstigend.

Und genau hier muss angesetzt werden: weg mit der Angst, zusammentun und Schweigen brechen. Den Literaturbetriebspatriarchen wünsche ich eine Mama oder einen vollwertigen Ersatz, der ihnen nächtens zuflüstert: Alles wird gut, Mama ist da, pscht, pscht, pscht. Dann muss man nämlich seine regressiven Verhaltensweisen nicht mehr an Frauen auslassen, deren Talent und Stärke man fürchtet.

Vielleicht sind auch die fetten Jahre des Patriarchats endlich vorbei. (Anna Herzig, 14.5.2023)