Protagonistin Anna erledigt mit ihrem Kind auf dem Arm viele Aufgaben – eine Herkulesarbeit.

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Zwei kleine, naturgemäß anstrengende Kinder, ein Mann, der seit deren Geburt nicht 100, sondern 150 Prozent arbeitet, und eine Frau, für die Mutterschaft und Aufopferung offenbar synonym sind. Eine Frau, die sich zwar eingesteht, dass ein erwachsener Mensch für zwei Kinder ein mieser Betreuungsschlüssel ist, aber letztlich doch alles brav mitmacht. Sie arbeitet als freie Journalistin, klar, so kann sie flexibel bleiben, denn: die Kinder.

Mütterliches Heldinnendasein

Man will Anna aus Sophia Hungerhoffs Debütroman Manchmal fliegen manchmal einfach kräftig schütteln. Damit ihr Mutterideal wenigstens ein bisschen Risse bekommt. Ein Ideal, das sie mit endlosen Anekdoten aus dem hektischen Leben einer Mama dennoch stolz vor sich herträgt. Mit ihrem Kind auf dem Arm eine Glühbirne einschrauben, weil es immer getragen werden will. So und ähnlich präsentiert uns Anna ihr mütterliches Heldinnendasein. Dabei sind es in Annas Fall kaum die gesellschaftlichen Umstände, die sie in diese Rolle hineindrängen.

Anna und ihr Alltag verkörpern endlos Mütterklischees, die in dem Roman zwar frech daherkommen wollen, letztlich aber doch auf unangenehme Weise Neuauflagen davon produzieren. Aber: Nun bekommt Anna die Chance, endlich einen Schritt zurück zu machen. Für eine Fortbildung reist sie in die Stadt, in der sie studiert und ihre erste und wohl auch größte Liebe erlebt hat. Es ist das erste Mal seit der Geburt ihrer Kinder, dass sie wegfährt. Und wieder ist sie da, die Botschaft der Aufopferung. Immerhin: Anna hat einen Hintergedanken. Sie will Jan wiedersehen. Jan, der schon damals für sich ein anderes Leben sah. Für Anna hingegen war auch schon zu Studienzeiten klar: Irgendwann will sie "eine Familie". Hungerhoff verknüpft die Rückkehr in Annas Studienstadt mit der Geschichte von damals.

Sophia Hungerhoff,"Manchmal fliegen". € 23,50 / 224 Seiten. Piper, München 2023
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Große Liebe, falsche Entscheidungen?

Anna lernt Jan schon bei ihrer Zugfahrt in die Stadt, in der sie studieren wird, kennen. Sie verlieben sich. Trotz ihrer Jugend und der vielen Möglichkeiten, die ihnen die Butterseite, auf der Anna und Jan gelandet sind, bietet, haben die zwei schon konkretere Vorstellungen von ihrer Zukunft. Und das bringt erste Probleme für die junge Liebe.

Es sind die höchst unterschiedlichen Ideen von einem guten Leben, die die zwei letztlich trennen. Somit will Anna bei ihrer Nostalgietour nicht nur herausfinden, was das unausweichliche Wiedersehen mit Jan in ihr auslöst. Sie fragt sich auch, ob denn alles ein Fehler war, die Kinder, der jetzige Mann. Eine Frage, die der Roman allerdings nur entlang vieler Klischees über die Lebensmodelle à la Jan und à la Anna verhandelt. Als Anna tatsächlich wieder in Jans Wohnung landet, stellt sie fest, dass er noch immer alles mit einer gewissen Gelassenheit und Ruhe macht, gerade so, als ob Menschen ohne Kinder nicht wüssten, was Stress ist. Auch seine Einrichtung hat sich kaum verändert. Bei Jan scheint das Leben irgendwie stehengeblieben zu sein. Zwar gesteht sie ihm zu, das ganze "Familienelend" vorausgesehen zu haben – und er sich deshalb dagegen entschieden hat.

Ein "Elend" allerdings, das es so in Annas Leben in dem Ausmaß auch nicht geben müsste. Doch in Manchmal fliegen klingt es nach Schicksal. Ist es nicht, vor allem für Frauen mit Annas Möglichkeiten. Es gibt also keinen Grund, sich schlecht zu fühlen, wenn Sie weit früher als vier Jahre nach ihrem Wochenbett allein wegfahren, ganz anders als Anna. Wenn Sie jede zweite Nacht durchschlafen, weil es schließlich noch einen zweiten Elternteil gibt, wenn Sie keine Glühbirnen mit Kind auf dem Arm einschrauben. Sie sind auf dem rechten und Anna auf dem Holzweg. (Beate Hausbichler, 13.5.2023)