Johanna, Marianne und Gertrud sind die Frauen, die täglich im Gasthaus schuften.

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Bigottes Landleben, brutale Umgangsformen, kollektives Schweigen. Das sind Themen, die sich leitmotivisch durch die österreichische Gegenwartsliteratur ziehen. Dass die gesellschaftlichen Verhältnisse vergangener Tage auch eine jüngere Generation von Schriftstellerinnen und Schriftstellern beschäftigen, zeigen wieder die Neuerscheinungen dieses Frühjahrs, zu denen auch der aktuelle Roman von Silvia Pistotnig zählt.

In kurz getakteten, sprachlich schnörkellosen Erzählsträngen schildert Pistotnig, 1977 in Klagenfurt geboren, das Innenleben von Johanna, Marianne und Gertrud. Diese Frauen schuften täglich im Dorfgasthaus. Hier wird abgerechnet, und das nicht nur am Tresen.

Gertrud, Marianne und Johanna

Grausam verläuft die Kindheit der später verhärmten Großmutter Johanna: Sie kommt als zartes Kind in einer bäuerlichen Umgebung der 1930er-Jahre zur Welt. Ihre Mutter setzt kaum Hoffnungen in das schwache Wesen, "aber Johanna starb nicht. Egal, wie wenig sich die Mutter um das Mädchen scherte, wie ausgetrocknet ihr Busen war, das Kind blieb." Es stellt sich heraus, dass das "Zniachtale", wie Johanna genannt wird, über bemerkenswerte musikalische Begabung verfügt. Der Organist des Dorfes fördert sie zuerst, als Johanna aber besser Orgel spielt als er, darf sie sich dem Instrument nicht mehr nähern – denn Franz beherrscht nicht nur die Orgeltasten, sondern auch die Klaviatur des gezielten Machtmissbrauchs: Er behandelt Johanna wie Luft, demütigt und bestraft sie schließlich mit eisernem Schweigen. Schon ist die erhoffte Karriere als Organistin für Johanna Geschichte.

Die Szenen zwischen dem Mädchen und dem Organisten inszeniert Pistotnig nicht nur psychodynamisch, sondern auch sprachlich überzeugend. Und es gibt einen zeitlosen Moment: All das könnte sich auch in einem modernen Bürogebäude abspielen, denn die Maßnahmen, mit denen drohende Konkurrenz gnadenlos beseitigt wird, bleiben wohl immer dieselben.

Leben und Tod im "Eckwirt"

So wie die Figuren zwischen Glück und Verzweiflung hin- und herschwanken, so nah liegen im Gasthaus "Eckwirt" auch Leben und Tod beieinander. Innerhalb von einer Woche werden Taufe und Begräbnis ausgerichtet. Mittendrin die unglücklich verheiratete Marianne, Johannas Tochter, die tagein, tagaus in der Gasthausküche steht, ohne richtige Ansprache und geplagt von Beziehungsproblemen. Marianne liebt Zahlen, ihre körperfeindliche Erziehung aber lässt nur selten Lustvolles zu. In manchen Passagen vermutet man, sie leide an ihrer eigenen Antriebslosigkeit am allermeisten.

Für die Schilderungen von Teenie-Tochter Gertrud, alias "Trudi", wählt Pistotnig nicht die dritte Person, sondern die Ich-Perspektive und bringt damit die Gefühlswelt der jungen Frau authentisch zur Sprache. Trudi ist auch unzufrieden, niemand fördert ihr Fußballtalent, denn "wer will schon ein Mädchen, das Fußball spielt?" Wütend sagt sie von sich selbst: "Ich bin die Kriegerin, die Rebellin." Trotz aller Auflehnung kann selbst die jüngste Protagonistin ihren Traum von einer Fußballkarriere nicht aus eigener Kraft realisieren. Zu unflexibel und gleichgültig ist das patriarchal dominierte dörfliche Umfeld dafür. Resignative Wut prägt diesen Roman und verleiht ihm gleichzeitig auch etwas Kraftvolles.

Rasante Erzählstränge

Silvia Pistotnig,"Die Wirtinnen". € 25,30 / 360 Seiten. Verlag Elster & Salis, 2023
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Eine große Schwäche besteht aber in der Anordnung der drei Erzählstränge. Die Abfolge wechselt zu rasant, schon nach wenigen Seiten wird zur nächsten Lebensgeschichte übergeleitet. In Anbetracht der Innigkeit und Empathie, die man für diese drei Frauenfiguren empfinden möchte, entsteht durch dieses permanente Springen zwischen den Biografien anstelle von Tiefsinnigkeit ein merkwürdig oberflächlicher, nahezu voyeuristischer Eindruck. Auch sind nicht alle drei Biografien gleich spannungsgeladen. Trudis wütende Teenie-Sprache mag durchaus realitätsnah sein, wird aber mit der Zeit etwas eintönig. Ihr Protest (orange gefärbte Haare) ist erwartbar und hätte auch abgekürzt werden können.

Literarisch interessanter sind die Lebensgeschichten der beiden älteren Frauen, besonders jene von Johanna, nicht zuletzt aufgrund ihrer historischen Dimension. Das Mädchen wird nach entsetzlichen Erfahrungen von ihrer Familie als Dienstmagd in einen noblen Haushalt nach Wien geschickt. Dort lernt sie den klavierspielenden Hausherrn kennen, erlebt aber auch die politischen Veränderungen, die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.

Angst ertragen und schweigen

Trotz der konzeptionellen Unstimmigkeiten bleibt die Lektüre ein Erkenntnisgewinn in Hinblick auf Machtmissbrauch, emotionale Verkümmerung, Schweigen und Verdrängung. So heißt es an einer Stelle: "Erst im Krankenbett holte einen die Wahrheit manchmal ein, und man spuckte sie aus, zusammenhanglos, verwirrt und ohne zu bedenken, was sie auslösen könnte." Die drei weiblichen Lebensgeschichten lassen hellhörig werden für generationenübergreifende Unterdrückung und legen die Ursachen von Verbitterung offen. Pistotnig erinnert jedoch auch mit zärtlichen literarischen Gesten daran, wie es durch die Liebe zur Kunst gelingen kann, den letzten Hoffnungsschimmer nicht zum Erlöschen zu bringen. (Gerlinde Tamerl, 13.5.2023)