Vor allem um das Kind soll sich das Leben von Müttern drehen, so sind noch immer die Erwartungshaltungen.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Die Soziologin Eva-Maria Schmidt und ein Team vom Institut für Soziologie der Universität Wien untersuchen aktuell die Vorstellungen vom Muttersein und dessen Auswirkungen. Sie haben Forschungsarbeiten der vergangenen 20 Jahre aus westlichen industrialisierten Ländern analysiert und österreichweit Einzel- sowie Gruppengespräche geführt. In ihren bisherigen Untersuchungen zeigten sich ähnliche Vorstellungen dessen, was eine gute Mutter machen kann, darf und soll.

STANDARD: Wie stellen wir uns heutzutage eine "gute" Mutter vor?

Schmidt: Die Erwartungen kreisen um die Mutter, die präsent und kindzentriert ist, und das so lange und umfassend wie möglich. Sie sollte wissen, was ihr Kind möchte und braucht, sollte ihm das ermöglichen und die Bedürfnisse erfüllen. Die Mutter ist in dieser Vorstellung die bestgeeignete Person, die dann in der Folge ihre eigenen Bedürfnisse, Hobbys oder ökonomische Absicherung hintanstellen sollte. Eine Erwartung, die wir zudem besonders in Österreich festgestellt haben: All das sollte die Mutter auch glücklich machen – und das sollte sie zeigen.

STANDARD: Welche Rolle spielt hier die zunehmende öffentliche Wahrnehmung von Müttern, auch durch die sozialen Medien?

Schmidt: Es kann Belastung und Chance sein. Zum einen hat die Öffentlichkeit eine kontrollierende Wirkung. Im medialen Diskurs wird oft ein bestimmtes Bild der Mutter gezeigt, etwa in Bezug auf ihren Körper. Das führt dazu, dass Mütter unmittelbar nach der Geburt ihren Körper wieder in Form bringen und so wie davor aussehen wollen. Oder es werden Vorstellungen suggeriert, wie sich Mütter ihren Kindern zuzuwenden haben und an welchen Orten sie ihre Kinder stillen sollten. Das wird mehr oder weniger subtil vermittelt, setzt Mütter aber unter Druck. Die verstärkte Öffentlichkeit hat aber auch das Potenzial, Vorstellungen zu ändern, wenn anderes Muttersein öffentlich wahrnehmbarer wird.

STANDARD: Was braucht es noch, um die vielen Erwartungshaltungen nachhaltig aufzubrechen?

Schmidt: Es ist ein langwieriger Prozess, bei dem an verschiedenen Stellen anzuknüpfen ist. Nötig ist zunächst ein Bewusstsein dafür. In Österreich haben wir auf politischer Ebene kein klares Ziel dieser Art. Ein gutes Beispiel ist auch die Arbeitswelt: In der Personalplanung wird eher nicht mitgedacht, dass ein Mann, der 30 Jahre alt ist, vielleicht auch irgendwann seine Erwerbstätigkeit unterbricht oder reduziert, wenn er Vater wird. Arbeitgeber:innen fragen Männer, die Väter werden, eher nicht, wie viele Stunden sie danach arbeiten möchten. Ihnen wird im Gegenteil sogar oft eine Gehaltserhöhung angeboten, damit sie den Erwartungen des Familienernährers entsprechen können. Bei Frauen wird hingegen vermutet, dass sie nicht verlässlich im Unternehmen bleiben oder irgendwann nicht mehr viele Stunden arbeiten können, da sie vordergründig als potenzielle Mütter wahrgenommen werden und damit die Hauptverantwortung für die Kinderbetreuung tragen. Diese Art von impliziter Diskriminierung sehen wir hierzulande stark.

STANDARD: Sie haben österreichweit Gespräche mit Frauen und Männern verschiedenen Alters, mit und ohne Kinder, über das Mutterbild geführt. Wie lautet das Fazit?

Schmidt: Grundsätzlich wird betont, dass jede Mutter entscheiden darf, wie sie was macht. Es solle ihr beispielweise auch zustehen, der beruflichen Entwicklung weiter nachzugehen. Es zeigt sich aber, dass dann zwischen den Zeilen latent Kritik mitschwingt. Wenn eine Mutter beispielsweise sagt, sie gehe nach ein paar Monaten wieder Vollzeit arbeiten, denn der Vater betreue das Kind, wird das im ersten Moment geduldet. Im zweiten Moment erkennt man dann aber in den Diskussionen, dass die Entscheidung unterschwellig kritisiert wird. Dann wird etwa betont: "Ich kann mir das zwar überhaupt nicht vorstellen, aber wenn die Frau das so will, dann soll sie das so machen." Oder es wird über die negativen Folgen für das Kind spekuliert oder prophezeit, die Frau werde ihre Entscheidung später einmal bereuen. Für Väter kommt diese Art der Kritik im Diskurs kaum auf.

STANDARD: Welche Möglichkeiten haben Paare, auf individueller Ebene gegenzusteuern?

Schmidt: Wenn wir von heterosexuellen Paaren bzw. Familien sprechen, sind jene Paare am ehesten gleichermaßen in Kinderbetreuung und Erwerbsarbeit involviert, in denen beide überzeugt sind und früh gemeinsam entscheiden, es anders machen zu wollen, und das langfristig durchziehen. Grundsätzlich ist es in Österreich durch die gesetzlichen Rahmenbedingungen sehr gut möglich, Elternschaft mit Karenz, Kinderbetreuungsgeld und Elternteilzeit gleichberechtigt aufzuteilen.

STANDARD: Hier kommt jedoch oft ins Spiel, dass Männer mehr verdienen als ihre Partnerinnen.

Schmidt: Es hakt definitiv häufig am Gender-Pay-Gap innerhalb des Paares. Er wird dann als Argument herangezogen, dass eher die Mutter die Erwerbsarbeit unterbricht oder reduziert. In vielen Fällen, wo die Frau ungleich mehr als der Mann verdient, wird dennoch argumentiert, dass die Frau zu Hause bleibt, da sie durch den höheren Verdienst mehr Kinderbetreuungsgeld bekommt. Selbst in solchen Fällen und auch bei ähnlich hohem Einkommen wird also selten der Vater als hauptverantwortlich für die Kinderbetreuung gesehen.

STANDARD: Ihrer Untersuchung zufolge ist das Mutterbild in industrialisierten westlichen Ländern überwiegend ein ähnliches. Gibt es dennoch Unterschiede zwischen Österreich und anderen Ländern?

Schmidt: In skandinavischen Ländern herrscht nicht diese Überzeugung vor, dass das Kind leidet, wenn die Mutter erwerbstätig ist, sondern eher, dass das Kind selbstverständlich auch vom Vater betreut wird. In Schweden gibt es bereits seit den 1970er-Jahren ganz andere Signale auf politischer Ebene. Geschlechtergleichstellung war auf vielen unterschiedlichen Ebenen das Ziel. Effektive gesetzliche Regelungen, wie nichtübertragbare Karenzzeiten für den Vater, und ein anderer medialer Diskurs wirken sich auch auf den gelebten Alltag aus. Ganztagesschulen sind beispielsweise in Skandinavien eher der Regel- als der Ausnahmefall. Auch in Frankreich ist klar: Ein Kind braucht andere Kinder und früh verschiedene Anregungen, die in Bildungs- und Betreuungsinstitutionen gegeben sind. Hier steht ein sozialer Benefit für die Kinder im Vordergrund. Das ist in Österreich nicht der Fall, wobei man hier anmerken muss, dass momentan die Qualität der Bildung und Betreuung noch sehr ausbaufähig ist.

STANDARD: In Österreich wird derzeit über diverse Änderungen des "Mutter-Kind-Passes" diskutiert, eine Namensänderung zu "Eltern-Kind-Pass" ist angedacht. Abgesehen von den inhaltlichen Änderungen des Passes: Ist so eine Namensänderung im Sinne der gleichen Verantwortlichkeit beider Elternteile sinnvoll?

Schmidt: Ich bin da ein wenig skeptisch. Ich verstehe den Kritikpunkt, dass mit der expliziten Nennung der Mutter hier sehr früh begonnen wird zu signalisieren: Du bist verantwortlich für die gesunde Entwicklung des Kindes. Im Diskurs fängt diese Zuschreibung ja meist schon vor der Schwangerschaft an, etwa wenn Frauen in der Werbung suggeriert wird, schon längst Folsäure nehmen zu müssen, damit ihr Körper ideal auf ein potenzielles Kind vorbereitet wird. Gleichzeitig zeigen Studien aber, dass geschlechtsneutrale Formulierungen, also eine weniger spezifische Ansprache der Elternteile wie im Fall des Passes, wenige Effekte zeigen. Wenn also das Ziel ist, die Gleichstellung zwischen Müttern und Vätern zu fördern, halte ich Maßnahmen, die eines der beiden Jahre Elternkarenz explizit nur für Väter reservieren und einen hohen Einkommensersatz vorsehen, für sinnvoller. Momentan ist das Ziel aber Wahlfreiheit, und die Betreuungspflichten von Männern werden selten explizit angesprochen. Eltern können also die Elternkarenz so gestalten, wie sie es möchten, was sich dann vorwiegend an den beschriebenen Leitbildern und weniger an gleichberechtigter Aufteilung orientiert. (Milena Österreicher, 14.5.2023)