Igor Levit gilt als einer der besten Pianisten der Welt.

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Wien – Seit Tagen, ja Wochen könne er fast nur noch Brahms hören, berichtete Igor Levit vor kurzem auf Instagram. Etwas in dessen Musik triggere ihn enorm, treibe ihm Tränen in die Augen und spende ihm Trost.

Tröstlich waren denn auch die sechs ausgewählten Choralvorspiele für Orgel op. 122 von Johannes Brahms, die der Pianist bei seinem Soloabend im Großen Musikvereinssaal in der Busoni-Bearbeitung vortrug. Die stabilen Choralthemen wirkten wie Geländer des Zutrauens im nebulösen, lichten Gewölk der Begleitfiguren.

Schlicht und herzenswarm dann das Thema von Fred Herschs Variations on a Folksong. Als "Meister des Ausatmens" hat Levit sein Idol und seinen Freund dieser Zeitung gegenüber einmal bezeichnet. Ein Meister der Variation ist der Jazzpianist nur begrenzt: Die für Levit geschriebenen Veränderungen über das Volkslied O Shenandoah überzeugten lediglich in den jazzigen, kontemplativen Momenten; ansonsten klapperte der US-Amerikaner reichlich Tonarten ab und frönte pathetischem Romantizismus.

Tadellos, aber harmlos

Mit Franz Liszts h-Moll Sonate, dem Gipfelwerk des Zauberers von Oz der romantischen Klaviermusik, beendete Levit das offizielle Programm: tadellos durchgestaltet, bisweilen etwas harmlos. Das Motiv mit den vier marcato-Achtelrepetitionen: Sollte das nicht wie ein teuflisches Lachen klingen? Bei seiner extremen Verlangsamung am Ende konnte der 36-Jährige die Spannung nicht halten.

Toll zuvor das stete Anschwellen der Lust beim Vorspiel zu Tristan und Isolde von (Liszts) Schwiegersohn Richard Wagner (in der Koscis-Bearbeitung). Nach all den romantischen Exzessen wollte sich im "Nachklang" bei Morton Feldmans minimalistischem Palais de Mari bei der unbarmherzig grellen Saalbeleuchtung kaum meditative Versenkung einstellen. Einige flohen, die große Mehrheit feierte den Deutschen im Musikverein. (Stefan Ender, 12.5.2023)