Hinten und vorne fehlt es zahlreichen Handwerks betrieben an Fachkräften.
Die Rot-Weiß-Rot-Karte als Helfer? Ganz so einfach ist es mit der Arbeitsmigration nicht.
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Eintrittskarte in den österreichischen Arbeitsmarkt und Joker gegen den wachsenden Fachkräftemangel: Die Rot-Weiß-Rot-Karte (RWR-Karte) soll Menschen aus Ländern außerhalb der EU nach Österreich holen, besser gesagt, in den Arbeitsmarkt. In einem Jahr hat sich die Liste der Mangelberufe fast verdoppelt, seit 2023 stehen 100 Jobs darin und für (unter anderen) diese kann um eine RWR-Karte angefragt werden.

Seit der Reform der Arbeitserlaubnis im Oktober sollte sie unbürokratischer zu bekommen sein. Die Mindestgehälter für die jeweiligen Stellen wurden gesenkt, die Punktevergabe erleichtert. Geburtsurkunden braucht es nicht mehr, Sprachkenntnisse wie Serbisch, Bosnisch oder Spanisch bringen mehr Punkte als zuvor. Trotzdem gibt es noch Betriebe, die "wenig Glück" bei der Begutachtung der zuständigen AMS-Stelle beklagen. Andere wiederum sprechen von monatelangen Wartezeiten für eine Entscheidung, die sie nicht abwarten können, weil sie sofort Personal benötigen. Soll die Familie mitkommen, wird es komplizierter. Auf Anfrage erklärt ein Sprecher des AMS, Mitarbeitende würden gründlich geschult werden und laufend an Fortbildungen teilnehmen, welche die aktuelle Rechtslage zur Ausländerbeschäftigung beinhalten.

Seit Anfang 2023 wurden zwar 2375 RWR-Karten genehmigt, fast halb so viele wie im ganzen Vorjahr. OECD-Zahlen zeigen aber: Österreich ist kaum attraktiv für Arbeitsmigration. Im Ranking, wie attraktiv ein Land für ausgebildete Menschen aus dem Ausland ist, erreicht Österreich Platz 26 von 38. Vorschläge von Firmen, die ihre vakanten Stellen einfacher vergeben wollen, gibt es dazu viele.

Aufwand – Metallbau-Firma Gebrüder Haas musste sich gedulden

Sein Karriereweg ist für den 36-jährigen Vitalii Danyliv anders verlaufen, als er es plante. Der Ukrainer studierte 2013 Germanistik an der Uni Wien, mit einem Visum. Damals arbeitete er 20 Stunden nebenbei im Büro der Metallbau-Firma Gebrüder Haas in Wien. Er passte ins Team, hatte Spaß, und sein Chef bot ihm dann eine freie Vollzeitstelle an.

Danyliv wollte sich dann um eine Rot-Weiß-Rot-Karte für Schlüsselkräfte bei der MA 35 bewerben. Er und sein Arbeitgeber orteten gute Chancen: Sein Deutsch hatte hohes Niveau, intern lernte er, wie er Tore montiert und wartet. Nach knapp fünf Wochen kam eine Absage. "Ich habe dann 40 Minuten mit der begutachtenden AMS-Stelle telefoniert, am Ende hieß es, ich bekomme keine Karte", sagt Danyliv. Er erreichte nicht genügend Punkte. Seine Ausbildung wurde nicht anerkannt, seine Zeit bei der Firma auch nicht. Die nächsten zwei Monate folgte Schriftverkehr hin und her. Letztlich sprach das AMS ihm die Punkte zu. Danyliv musste trotzdem einen neuen Antrag stellen und warten, ob vom AMS noch andere Bewerbende infrage kamen. Nach insgesamt fünf Monaten konnte Danyliv seine RWR-Karte abholen. Am Ende freut er sich, sagt er, dass sich die Firma bemüht hat. "Es gibt ja auch welche, die sagen, der Aufwand ist ihnen zu viel und es tut ihnen leid."

Ablehnungen – Lkw-Speditionsfirma Wattaul hat es aufgegeben

Immer wieder melden sich Menschen aus Serbien, Bosnien, der Türkei, einmal auch aus Ägypten, auf die Facebook-Postings der Firma Wattaul in Pöchlarn in Niederösterreich. In diesen steht geschrieben: "Suchen Lkw-Fahrende zur Verstärkung des Teams." Die Anfragen dieser Bewerber annehmen kann das Unternehmen aber nicht. "Es ist chancenlos, wir haben es aufgegeben", erzählt Ewald Hämmerlein.

Einige Male habe er bereits versucht, Menschen aus Drittstaaten einzustellen, jedes Mal kam eine Absage für die Rot-Weiß-Rot-Karte. Hämmerlein erinnert sich: Erst musste er in drei Städten anfragen, welche Dokumente sein Bewerber einreichen müsse. Nach Monaten kamen Ablehnungen. Deutsche Sprachkenntnisse hätte jeder gehabt, auch Ausbildungen konnten sie nachweisen. Trotzdem kam immer die Begründung, der Job gelte nicht als Schlüsselkraft. Über die Entscheidung diskutiert habe Hämmerlein nicht, sagt er.

Denn auch aus Kostengründen würden manche Bewerber das Ansuchen um die RWR-Karte bei der Behörde nicht durchziehen. Alle benötigten Dokumente müssten professionell auf Deutsch übersetzt und amtlich beglaubigt werden. Zwischen 2000 und 3000 Euro netto würde der Job bieten – genug Verdienst für eine RWR-Karte. Rund 8000 Stellen bleiben in der Branche in Österreich unbesetzt. Hoffnung hat Hämmerlein aber vielleicht bald: Weil die freien Stellen in der Spedition immer länger ausgeschrieben sind, könnte Lkw-Kraft nächstes Jahr auf der Mangelberufsliste stehen.

Sprachkenntnisse – Hightech-Zulieferer AVL hat noch Wünsche

Markus Tomaschitz, Personalchef des Autozulieferers und Hightech-Unternehmens AVL List, erlebt "signifikante" Verbesserungen durch die Reform der RWR-Karte, sieht "große Vorteile", lobt beschleunigte Verfahren im AMS und erwartet eine "deutliche Zunahme" des Instruments im Unternehmen mit rund 4000 Mitarbeitenden in Graz sowie mehr als 11.000 weltweit. "Wir müssen die Abgänge an Babyboomern irgendwie kompensieren", sagt Tomaschitz, der durch den Fach- und Arbeitskräftemangel enorm unter Druck steht. Aktuell seien sogar 100 Mitarbeitende mit RWR-Karte in der Firma.

Er regt allerdings zwei Erleichterungen an: Fast ein Viertel der zu erreichenden Punktezahl an Sprachkenntnisse – Deutsch und Englisch – zu knüpfen, das sei zu reformieren. Beim Zuzug einer Person mit RWR-Karte müssen die Familienangehörigen Deutsch können – das wird bei Familien aus beispielsweise Indien nicht leicht. Ebenso seien Vorqualifikationen für die in Österreich angestrebte ausbildungsfremde Position noch einmal zu überdenken. Er nennt als aktuelles Beispiel einen bosnischen Schiffbauer, der in Graz im Controlling beginnen wollte, dafür aber kein Okay erhielt. Man habe schließlich im Technischen Einkauf eine Position gefunden, die den derzeitigen Anerkennungskriterien entspricht. (Melanie Raidl, 14.5.2023)