Panusaya Sithijirawattanakul war schon dreimal im Gefängnis.

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Die junge Frau sitzt in der ersten Reihe des holzvertäfelten Saals, auf dem Tisch vor ihr eine pinkfarbene Handtasche und ein Trinkbecher mit bunten Herzen. Die 24-jährige Panusaya Sithijirawattanakul, Spitzname Rung (Regenbogen), sieht aus wie eine Studentin in einer Vorlesung. Tatsächlich aber sitzt sie in Bangkok vor Gericht. Wegen Beleidigung des Königs und anderer Vorwürfe drohen ihr Haftstrafen, die ihr lebenslang die Freiheit nehmen könnten.

Rung ist das bekannteste Gesicht der Demokratiebewegung. 2020 führte sie mit Studenten Proteste zehntausender junger Menschen an. Nun hofft sie, dass die Parlamentswahl zu einem Sturz des thailändischen Premierministers Prayut Chan-o-cha führt.

"Jeder darf sich bauchfrei kleiden"

Es ist der Dienstag vor der Wahl. Seit 9 Uhr sitzt Rung im Gerichtssaal, ab und zu lehnt sie erschöpft ihren Kopf an die Sitzbank. Heute ist sie angeklagt, weil sie sich bauchfrei gekleidet hat. Im Dezember 2020 stellte sie sich mit drei jungen Männern, die neben ihr auf der Anklagebank sitzen, vor ein bekanntes Einkaufszentrum in Bangkok. Ihre T-Shirts endeten knapp unter der Brust. Auf ihren Bäuchen stand: "Jeder darf sich bauchfrei kleiden".

Sie bezogen sich darauf, dass wenige Wochen zuvor ein 17-Jähriger nach Paragraf 112 – dem Lèse-Majesté-Gesetz, das Majestätsbeleidigung verbietet – verurteilt wurde, weil er bei einer Modenschau bauchfrei gekleidet war und damit König Maha Vajiralongkorn, auch Rama X. genannt, parodiert haben soll. Dieser ist dafür bekannt, dass er sich im Ausland gerne freizügig anzieht.

Fast jeden Tag verbringt Rung derzeit vor Gericht. Einen Job bei Amnesty International musste sie deswegen aufgeben. "Ich habe keine Zeit zu arbeiten, weil ich dauernd hier bin", sagt sie. Sie ist in 27 Fällen angeklagt, zehn davon nach Artikel 112. Drei Mal saß sie im Gefängnis, insgesamt 79 Tage.

Richter fragen um "Rat"

Auch heute werden vor allem junge Menschen nach Artikel 112 eingesperrt. Rungs Anwältin Kunthika Nutcharut vertritt derzeit eine 14-Jährige, die seit über 40 Tagen im Gefängnis sitzt. Die Urteile werden laut der Juristin und ihrem Team nicht unabhängig getroffen. Immer wieder gehen auch heute die Richter aus dem Saal, um "nach Rat für ihre Entscheidung zu fragen". Wen sie fragen, sagen sie nicht.

Rung erinnert sich an jenen Tag im August 2020, der ihr Leben veränderte: Bei einer Kundgebung an der Thammasat-Universität in Bangkok las sie eine Liste mit zehn Forderungen an die Regierung vor, die der ebenfalls prominente studentische Aktivist Parit "Penguin" Chiwarak verfasst hatte und der fast immer, so wie auch heute, neben ihr vor Gericht sitzt.

Wegen Volksverhetzung verhaftet

Sie forderten unter anderem den Rücktritt Prayuts, eine neue Verfassung, eine Reform der Monarchie und die Aufhebung von Gesetzen, die die Meinungsfreiheit einschränken. Im Februar 2021 wurde Rung mit anderen Aktivisten wegen Volksverhetzung verhaftet.

"Ich wusste, was mein Handeln für Konsequenzen hat. Ich habe es für andere getan, die weniger Mut hatten", sagt Rung. Sie hofft, bald nach Norwegen zu fahren, um auf einer Konferenz über Meinungsfreiheit zu sprechen. Um das Land zu verlassen, braucht sie eine Erlaubnis der Regierung. Früher träumte sie davon, im Ausland zu leben, dann entschied sie sich um: "Ich will in dem Land bleiben, für das ich kämpfe. Ich glaube daran, dass wir demokratischer werden können."

Die harte Behandlung der Aktivisten dient auch zur Abschreckung. Die Proteste auf der Straße sind mittlerweile ausgemerzt. Der Kampf für Demokratie geht weiter – in der Politik. (Christina zur Nedden, 15.5.2023)