Omdurman, ein Vorort Khartums, ist Hauptkampfgebiet zwischen rivalisierenden Teilen der Streitkräfte – die Bevölkerung leidet.

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Khartum, einen Monat nach Kriegsbeginn: Über dem Suk in Omdurman schwillt eine riesige schwarze Wolke in den Himmel. Düsenjäger der Luftwaffe haben den Markt in Brand geschossen. Die Straßen der sudanesischen Hauptstadt sind menschenleer, nur die Pick-ups der Rapid Support Forces (RSF) patrouillieren. Die Milizionäre pflegen Geschäfte zu plündern und sich in Wohnungen einzunisten, aus denen schon mehr als eine halbe Million Menschen geflohen sind.

Wer zurückbleibt, verschanzt sich in einem der Straße abgewandten Zimmer, um nicht von einem Querschläger getroffen zu werden. Dunkel ist es ohnehin, weil der Strom schon seit Wochen wegbleibt. Auch Wasser gibt es in vielen Stadtteilen nicht mehr.

Leichen in den Wohnungen

Azhaar Sholgami sucht jemanden, der ihre Großmutter bestatten kann. Sie liegt schon seit Tagen tot in ihrer nahe dem Hauptquartier der Streitkräfte gelegenen Wohnung: Die benachbarte türkische Botschaft hat die in New York lebende Enkelin informiert. Weil die Kämpfe zwischen Regierungssoldaten und Milizionären zu heftig seien, habe noch niemand den Leichnam bergen können, berichtet die Enkelin der BBC. Eigentlich sollte die von den beiden Kriegsparteien vergangenen Woche unterzeichnete "Jeddah-Vereinbarung" dafür sorgen, dass zumindest derartige Tragödien vermieden werden. Doch von "humanitären Korridoren" fehlt in Khartum noch immer jede Spur, von einem Waffenstillstand ganz zu schweigen.

Mehr als 1.000 Zivilistinnen und Zivilisten sind den Kämpfen nach Angaben des sudanesischen Ärztekomitees bereits zum Opfer gefallen – fast alle in Khartum oder in den Darfur-Provinzen im Westen des Landes. "In den Straßen liegen Leichen", berichtet der Afrika-Direktor des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes, Patrick Youssef, aus der Hauptstadt des Landes: "Die meisten Krankenhäuser sind geschlossen." Sie haben meist keinen Strom, kein Wasser und keine Medikamente mehr: Von mehreren Hospitälern haben auch die Milizionäre Besitz ergriffen. Geschäfte und Banken sind geplündert, Geldautomaten aufgebrochen; der Container-Terminal Soba im Süden Khartums ist bis aufs Fundament verwüstet.

Letzte Nachricht

Unter den Toten auch Prominenz: Sudans erste Schauspielerin, die 80-jährige Asia Abdelmajid, kam auf der Straße im Kreuzfeuer ums Leben – wie der 72-jährige ehemalige Fußballstar Fozi el-Mardi und seine Tochter. Shaden Gardood, eine der bekanntesten sudanesischen Sängerinnen, fand vor ihrer Wohnung nahe der staatlichen Fernsehanstalt in Omdurman den Tod. "Wir sind seit 25 Tagen in unserem Haus eingeschlossen", hatte die 37-Jährige kurz vor ihrem Tod auf Facebook geschrieben: "Wir sind hungrig und haben schreckliche Angst. Aber wir haben noch unseren Anstand und unsere Moral."

Die Lage werde täglich schlimmer, sagt ein 37-jähriger Südkhartumer der Nachrichtenagentur AFP: "Die Bevölkerung wird immer ängstlicher, weil die Kämpfer beider Seiten immer brutaler vorgehen."

Derweil gehen in der saudi-arabischen Hafenstadt Jeddah die Gespräche zwischen Abgesandten der Kriegsparteien weiter. Nach der – nicht eingehaltenen – Vereinbarung über die humanitären Korridore soll es nun, nach bereits fünf anderswo fehlgeschlagenen Versuchen, um einen Waffenstillstand gehen. Fachleute bezweifeln aber, dass die beiden Generäle überhaupt Interesse an einer Verständigung haben: Beide seien überzeugt davon, dass sie den Krieg für sich entscheiden können.

Streitkräftechef Abdelfattah al-Burhan verfügte jetzt das Einfrieren sämtlicher Konten, die mit der RSF-Miliz in Verbindung gebracht werden. Sein Gegenspieler Mohamed Hamdan Dagalo (alias Hemeti) gilt wegen seiner Ausplünderung der Goldminen in Darfur als einer der reichsten Männer des Landes. Hemeti kündigte im Gegenzug die Exekution al-Burhans durch Erhängen auf einem öffentlichen Platz in Khartum an.

Eskalation droht

Unterdessen droht sich der Krieg auch auf andere Landesteile (wie die im Süden gelegenen Kordofan-Provinzen) und womöglich sogar auf die Nachbarstaaten auszuweiten. Zigtausende Sudanesen sind vor allem in den Tschad und nach Südsudan geflohen. Die Belastung könnte die beiden schwächelnden Nationen vollends aufreiben. Auch die beiden Staatsruinen Libyen und die Zentralafrikanische Republik sind in den Krieg der Generäle schon verwickelt, durch Treibstoff- und Waffenlieferungen.

Die Zukunftsaussichten sind jedenfalls düster: Fachleute befürchten, dass aus dem Sudan ein zweites Syrien oder Somalia werden könnte. (Johannes Dieterich, 16.5.2023)