Leni Ulrich und Bipolar Feminin sind gekommen, um die Gesamtsituation einzuschätzen: "Ich könnte einfach kotzen."

Foto: Heribert Corn

Früher sagte man zu einer durch schwere Stimmungsschwankungen gekennzeichneten bipolaren Störung manische Depression. Speziell über die Psyche extrem belastende "gemischte Episoden" der Krankheit haben einst schon Jimi Hendrix in Manic Depression, Nirvana in Lithium oder die Pixies in Where Is My Mind? gesungen.

In eine ähnliche Kerbe, aber mit mehr grobianischem Nirvana als feingliedrigem Hendrix hauen nun auch Bipolar Feminin aus Ebensee im Salzkammergut auf ihrem Debütalbum Ein fragiles System. Die Heimat der Band ist nicht nur wegen des schönen Traunsees und der dort schnell einmal ins Exzessive ausufernden Faschingsfeiern bekannt. Manisch! Man muss leider auch festhalten, dass dort oft wochenlang schwer aufs Gemüt gehende Schlechtwetterfronten und lebensmüder Nebel an den Berghängen kleben bleiben. Depressiv ...

Buback Tonträger

Bipolar Feminin um Frontfrau Leni Ulrich haben schon vor einigen Jahren die Flucht nach Wien angetreten. Dass dort auch nicht nur eitel Sonnenschein herrscht, war schon auf dem ersten Tonträger Piccolo Family von 2022 klar. Mit dem Song 13A setzte es damals etwa einen zeitlos schönen Klagenhagel wie auch ein zeitlos schönes Denkmal auf die berüchtigte namensgebende und die Stadt immer nur mühsam für die Fahrgäste durchquerende Buslinie: "Leidenfrostgasse, mein Leib ist erstarrt."

"Ich töte euch alle, ich bring euch alle um", heißt es an anderer Stelle. In Süß lächelnd wird auch schon eine weitere Grundausrichtung der Band deutlich. Leni Ulrich singt mit schneidender Stimme für Leiwand und gegen die Ärsche: "Mit euren Bärten seid ihr die Experten für alles / Mit euren Schwänzen überschreitet ihr all meine Grenzen."

Alles niederbrennen

Auch auf dem jetzt beim in Hamburg beheimateten Goldene-Zitronen-Label Buback Tonträger veröffentlichten Album Ein fragiles System geht es um Mansplaining und starke Gefühle. Selbstverliebten, ach so sensiblen Burschis giftet Leni Ulrich im Lied Sie Reden so laut wegen im Nachtleben mitgehörter Killersätze wie "Mir persönlich ist das viel zu emotional" ein wütendes "Ich verstehe sie nicht falsch. Ich könnte einfach kotzen" entgegen.

Buback Tonträger

Auch der Titelheld von Matrose wird kein gutes Ende nehmen. Musikalisch zeigt sich Bipolar Feminin dabei von einer gut eingenebelten Fingerübung in Sachen Depression im Proberaum, also von Robert Smith und The Cure beeinflusst. Schön laut Anleitung aus Peter Burschs Gitarrenbuch für Fortgeschrittene wird die elektrische Klampfe im Hallraum gezupft. Am Ende geht die Sache mit dem Seebärchen dank eines Fluchs (sowie eines Hausschlüssels, mit dem man das Auto des Matrosen gut zerkratzen kann) nicht gut aus. Dazu wird am Höhepunkt des Songs kurz einmal kräftig wie früher in die Verzerrerpedale des klassischen Indierock getreten und mit gekrümmtem Rücken auf den Saiten herumgeschrammelt.

Das macht Bipolar Feminin und ihr Album so sympathisch. Es wird verbal zwar ständig und ordentlich Dampf abgelassen, die Musik dazu kommt allerdings nur selten in die rote Testosteronzone. Lieber gibt sie sich schlapp, hoppertatschig und verwackelt. Ein fragiles System eben, in gemischten Episoden.

Wer technisch am Limit mit dem Herz auf der Zunge – und der Zunge im Mundwinkel – spielt, erreicht oft mehr als Leute, die wochenlang im Studio herumtüfteln. Solche Besserwisser, die dann eigentlich eh nichts zustande bringen, hatten wir jetzt in den Texten reichlich. Systemkritik folgt in Tüchtig mit "In deinem Wertesystem hab ich keinen Platz". Liebe wird oft nicht nur aus Mut, sondern auch aus Wut gemacht.

Buback Tonträger

Alte Hits wie die stolze Hymne Fett vom Vorgänger Piccolo Family kann man bei den mit großer Lässigkeit hingeschissenen Konzerten auf jeden Fall immer noch dazwischenschieben: "Begehrenswert, ein wahres Wunder / Ich hab so viel Feuer, nur her mit dem Zunder / Alles niederbrennen, außer Kalorien / Verbeugt euch, ich bin eure Queen!"

Bipolar Feminin sind ausgewiesene Fans der deutschen Band Tocotronic zu Zeiten, in denen diese Mitte der 1990er-Jahre laut Albumtitel gekommen war, um sich zu beschweren. Bipolar Feminin beherrschen diese Kunst bis zur Perfektion. Im Salzkammergut, da kann man gut fuchtig sein. (Christian Schachinger, 17.5.2023)