Sein wissenschaftlicher Name lautet "Amanita phalloides" und klingt ein wenig wie das Pseudonym einer österreichischen Song-Contest-Teilnehmerin mit Siegeschancen. Hinter dem wohlklingenden Namen steckt nichts Geringeres als der tödlichste aller Pilze, der Grüne Knollenblätterpilz. Mehrere bedeutende historische Persönlichkeiten sollen an einer Vergiftung mit Grünem Knollenblätterpilz gestorben sein, darunter Kaiser Claudius, Papst Clemens VII. und Kaiser Karl VI.

Weltweit gehen etwa 90 Prozent aller Pilzvergiftungen mit Todesfolge auf ihn zurück. Die Symptome sind Übelkeit, Erbrechen und Durchfall und treten mehrere Stunden nach dem Verspeisen auf. Bis dahin hat sich das Gift mit dem Namen alpha-Amanitin bereits im Körper verteilt und führt ab einer Menge von etwa 50 Gramm letztlich zu Leber- und Nierenversagen. Die komplexe Wirkungsweise des Gifts erlaubte es bisher nicht, ein effektives Gegenmittel zu entwickeln, wie es etwa bei vielen Schlangengiften Standard ist.

Der Grüne Knollenblätterpilz lebt in Symbiose mit Eichen. In Eichenwäldern ist also besondere Vorsicht angebracht.
Foto: www.corn.at Heribert CORN

Grüner Farbstoff als Gegenmittel

Doch nun berichten Forschende aus China und Australien in einer neuen Studie im Fachjournal "Nature Communications" von einem möglichen Ansatzpunkt für ein Gegenmittel.

Die Lösung findet sich an unerwarteter Stelle. Der Hoffnungskandidat ist Indocyaningrün, ein fluoreszierender Farbstoff, der eigentlich in der Medizin zur Markierung von Gewebe eingesetzt wird.

In Versuchen mit Mäusen bestätigte sich, dass Indocyaningrün in der Lage ist, Leber- und Nierenschäden zu verhindern. Die Wirkung des Gegengifts scheint auf einer Interaktion mit dem körpereigenen Protein STT3B zu beruhen. Das Pilzgift ist auf dieses Protein angewiesen, um in die Zelle einzudringen. Indocyaningrün scheint STT3B zu hemmen.

Tausende Gene und Medikamente untersucht

Gefunden wurde die ungewöhnliche Wirkung des Farbstoffs bei mehreren großangelegten "Screenings". Dabei untersuchen Forschende nicht Schritt für Schritt einzelne Chemikalien auf ihre Wirkung, sondern testen mit Computermethoden eine große Bandbreite an Stoffen. Das Team hatte solche Screenings bereits zuvor eingesetzt, um die Wirkung des Gifts von Quallen zu untersuchen, und dabei ebenfalls ein mögliches Gegenmittel entdeckt.

Im Fall des Pilzgiftes startete das Team mit einer Datenbank von menschlichen Zellproben, bei denen mithilfe der Genschere CRISPR einzelne Gene ausgeschaltet wurden. Insgesamt betrachtete man so 19.114 Gene, von denen, wie sich zeigte, einige hundert von der Wirkung des Giftes des Knollenblätterpilzes betroffen sind.

Davon ausgehend untersuchte das Team die Funktion dieser Gene genauer und identifizierte die Signalwege in der Zelle, an denen sie beteiligt sind. Der Eiweißstoff STT3B erwies sich als möglicher Ansatzpunkt für ein Medikament, doch bislang war kein Medikament zur Hemmung dieses Proteins zugelassen. Es blieb die Hoffnung, ein bereits bekanntes Arzneimittel könnte zufällig eine Wirkung als STT3B-Hemmer haben. 3201 zugelassene Arzneimittel wurden so untersucht.

Im Gegensatz zum Grünen Knollenblätterpilz ist der Gelbe Knollenblätterpilz nur im rohen Zustand giftig. Vom Verzehr ist, wegen Verwechslungsgefahr mit dem Grünen Knollenblätterpilz, dennoch entschieden abzuraten.
Foto: APA/dpa/Sebastian Gollnow

Sterblichkeit bei Mäusen geht zurück

Dabei landete neben 33 anderen Wirkstoffen der Farbstoff Indocyanongrün einen Treffer. Allein für Letzteren ließ sich die Wirksamkeit in Folgeuntersuchungen bestätigen. Bei Mäusen reduzierte sich die Sterblichkeit erheblich. Die Hälfte der Mäuse, die mit Indocyanongrün behandelt wurden, überlebten die Vergiftung mit dem Knollenblätterpilzgift, während es bei den ungeschützten Mäusen nur zehn Prozent waren.

Es ist nicht ungewöhnlich, dass bereits zugelassene Arzneimittel für neue Zwecke eingesetzt werden, ist doch in diesem Fall der komplexe und teure Prozess der Medikamentenentwicklung und -zulassung bereits durchlaufen. Dass ein zur Markierung verwendeter Farbstoff zum Heilmittel werden könnte, ist aber eine Besonderheit.

Klinische Studien bleiben abzuwarten

Gegenüber dem britischen "Guardian" gibt sich das Team hoffnungsvoll, doch Studienautor Qiaoping Wang von der Sun-Yat-Sen-Universität im chinesischen Guangzhou warnt auch vor den üblichen Beschränkungen von Studien an Mäusen: "Die Ergebnisse sind zwar vielversprechend, aber es sind weitere klinische Experimente erforderlich, um festzustellen, ob Indocyaningrün beim Menschen ähnliche Wirkungen hat."

Bis die Wirksamkeit des Medikaments beim Menschen erwiesen ist, gibt es zum Schutz einige einfache Tipps. Knollenblätterpilze sind eigentlich an ihrer Knolle erkennbar. Verwechslungsgefahr besteht dennoch mit dem als Speisepilz beliebten Parasol, weshalb hier besondere Vorsicht geboten ist.

Falls der verdächtige Pilz bereits verzehrt wurde, sollten Pilzreste und Erbrochenes sichergestellt werden, selbst wenn die betroffene Person noch in guter Verfassung ist. Der wichtigste Rat lautet aber: Nichts pflücken, was man nicht ganz genau kennt. Im Zweifel hilft eine Pilzauskunftsstelle. (Reinhard Kleindl, 21.5.2023)