Michelle O’Neill von Sinn Féin zeigte sich zufrieden.

Foto: Reuters / Clodagh Kilcoyne

Wie viel Spielraum gibt es für politische Initiativen in Nordirland? Diese Frage wird zu Wochenbeginn in den Regierungsstuben von London und Dublin beraten, nachdem die Nordiren bei den Kommunalwahlen vom Donnerstag das Drei-Blöcke-System zementiert haben. Nach der langwierigen Auszählung stand am frühen Sonntagmorgen die katholisch-nationalistische Sinn Féin (SF) als klare Wahlsiegerin fest, gefolgt von der stagnierenden protestantisch-unionistischen DUP. Die liberale Allianzpartei wurde auch in den Kommunalvertretungen drittstärkste Kraft. Die regionale SF-Chefin Michelle O’Neill wertete das Ergebnis als "klares Signal: Die Blockade der Regierung muss enden."

Der wichtige Gradmesser für die politische Stimmung im britischen Nordosten der Grünen Insel kam wenige Wochen nach den Feiern zum 25. Jahrestag des Friedensabkommens vom Karfreitag 1998, das den blutigen, rund 30 Jahre währenden Bürgerkrieg beendet hatte. Wichtigste Neuerung des umfassenden Vertragswerkes war die Schaffung einer Allparteien-Regierung in Belfast, mit der die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen ihr Schicksal selbst bestimmen sollten.

Die Institution liegt aber brach, wenn eine der beiden größten Parteien ihre Beteiligung verweigert. Seit gut einem Jahr ist dies wieder einmal die DUP. Offiziell begründet DUP-Chef Jeffrey Donaldson seine Blockade mit den Handelshindernissen zwischen Nordirland und der britischen Hauptinsel, die durch den Brexit entstanden sind.

Wirtschaftlicher Sonderfall

Dem EU-Austrittsvertrag ebenso wie der im Februar hinzugekommenen Windsor-Vereinbarung zufolge muss die innerirische Landgrenze offen bleiben, was eng begrenzte Zollkontrollen an der Seegrenze zur Folge hat. Dennoch bleibe Nordirland die "spannendste Wirtschaftszone der Welt", schwärmt der britische Premier Rishi Sunak: eine Sonderstellung im EU-Binnenmarkt bei gleichzeitigem Verbleib im Vereinigten Königreich.

Viele Nordiren halten die DUP-Einwände ohnehin nur für vorgeschoben. Viel schwerer wiege für die machtbewussten Unionisten, dass sie erstmals als Juniorpartner in die Allparteien-Regierung müssten. Bei der Regionalwahl im vergangenen Jahr hatte SF die Nase vorn, woraus sich O’Neills Anspruch auf das Amt der Regierungschefin ableitet.

Die Ergebnisse vom Wochenende haben den Trend bestätigt. SF holte ein Plus von 7,7 Prozentpunkten und erzielte 30,9 Prozent der Stimmen – weit vor der DUP, die mit leichten Einbußen bei 23,3 Prozent landete. Insgesamt 144 SF-Vertreter stehen nun 122 DUP-Mandataren gegenüber. Gleichzeitig zog die Allianzpartei wie schon im Vorjahr an den kleineren Parteien vorbei.

Die Beteiligung lag bei 54,7 Prozent, ein für Kommunalwahlen überaus respektables Ergebnis. Vor allem SF ist es gelungen, die eigene Klientel an die Urne zu bringen.

Zugeständnis gefragt

DUP-Chef Donaldson wiederum kündigte eine umfangreiche Analyse des Ergebnisses an. Der Unionismus müsse "einen genauen, kritischen Blick" auf sein Abschneiden richten, betonte er und nannte als Faktoren vor allem die mangelnde Wahlbeteiligung der eigenen Klientel sowie die Zersplitterung in mehrere Parteien. Letzteres gilt als Seitenhieb auf die noch weniger kompromissbereite Splittergruppe TUV unter dem Anwalt Jim Allister.

Was aber kann die DUP zur Rückkehr in die Allparteien-Regierung bewegen? Und wie schnell ist damit zu rechnen? Frühestens im Herbst, glaubt der Liverpooler Politikprofessor Jon Tonge, doch sei dazu ein Zugeständnis nötig. "Und momentan ist es schwierig zu sehen, woraus dieses bestehen könnte." (Sebastian Borger, 21.5.2023)