Zur Person

Hugo Portisch (78) war 1955 bis 1968 beim "Kurier", dann Korrespondent und Chefkommentator des ORF, dem er die Zeitgeschichtereihen "Österreich I" und "Österreich II" lieferte. Portischs neuer Vierteiler zur Zweiten Republik ("Die Zweite Republik – eine unglaubliche Geschichte") läuft ab 20. April wöchentlich im Hauptabend von ORF 2.

Foto: ORF/Thomas Ramstorfer
STANDARD : Darf man die Ikone Hugo Portisch hinterfragen?

Portisch: Bitte nicht Ikone, keine Legende, gar nichts, ganz gewöhnlicher Journalist.

STANDARD: Betreiben Sie nach Ihrer Einschätzung noch kritischen Journalismus?

Portisch: Ich hoffe, die ganze Zeit. Aber natürlich konnte man im "Kurier" täglich auf die Barrikaden steigen, das geht im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht. Ich glaube, der "Kurier" war eine der kritischsten Zeitungen, als ich Chefredakteur war. De facto hat der "Kurier" Taras Borodajkewycz wegen seiner antisemitischen Äußerungen von der Universität für Welthandel weggebracht. Und der erste politische Tote der zweiten Republik, Ernst Kirchweger, starb in der Verteidigung des "Kurier"-Ecks gegen die Nazistudenten. Wir haben das Volksbegehren zur Entpolitisierung des Rundfunks initiiert, damit haben wir immerhin gegen beide Großparteien aufbegehrt. Ihr glaubt immer, ihr habt den kritischen Journalismus erfunden.

STANDARD: Das natürlich nicht. Sie stehen bei Ihren Produktionen im Vordergrund. Wie viele Menschen recherchieren für solche Dokus?

Portisch: 14 Leute sind alleine in meiner Crew für dieses Projekt.

STANDARD: Sie klingen ganz besonders stolz auf ein "virtuelles Archiv" in ihrer neuen Doku. Was ist das?

Portisch: Das hat unser Regisseur Paul Sedlacek erfunden. Für den Zuschauer stehe ich in einem lichten Raum mit Ebenen wie aus Glas. Wenn ich etwas abrufe, fährt das jeweilige Bild heraus, ein Dokument, ein Foto, ein Film, ein Zeitzeuge. Wir haben etwas erfunden, das mir ermöglicht, Leute sozusagen aus dem Jenseits abzurufen. Hätten wir nicht das Scharnier des virtuellen Archivs, wie könnten wir das darstellen?

STANDARD: Mit Schnitten, wie es Dokus üblicherweise machen.

Portisch: Dann hätten wir Tote plötzlich unter Lebendigen. Wir haben da etwas fernsehtechnisches völlig Neues, Einmaliges.

STANDARD: Virtuelle Studios sind nicht mehr ganz neu.

Portisch: Studios nicht, aber ein virtuelles Archiv.

STANDARD: Kann man sich Ihren neuen Vierteiler als "Reader’s Digest"-Version von "Österreich II" vorstellen?

Portisch: Keineswegs, das wäre zu einfach. Bei "Österreich II" in den Achtzigerjahren waren wichtige Archive noch unzugänglich, in Österreich und in der Sowjetunion. Inzwischen hat sich auch eine Vielzahl von Historikern der Materie angenommen. Zwei Drittel der Zuschauer von "Österreich II" hatten das Kriegsende noch miterlebt. Wir haben eine neue Sicht, wir haben eine neue Präsentation, und wir sprechen eine neue Generation an. Aber ich kann die Russen natürlich nicht noch einmal einmarschieren lassen in Wien oder den Karl Renner über den Rathausplatz jagen. Wichtiges historisches Material kehrt natürlich wieder.

STANDARD: Sie beginnen in den letzten Kriegstagen und enden mit dem Staatsvertrag. Erinnere ich mich richtig, dass bei "Österreich II" die Vorgeschichte kaum vorkam?

Portisch: Das ist überhaupt nicht wahr. Wir haben 16 Folgen von "Österreich I" und "Österreich II" nur diesem Thema gewidmet: Holocaust, Hitler, Nazizeit acht Folgen. In "Österreich II" habe ich die 14. und 15. Folge eingeschoben nur für diese Ereignisse. Immer wieder kommt der Vorwurf, das war nur Jubel, Trubel, wo bleiben Peymann, Jelinek? Wir hatten alle, auch den Thomas Bernhard.

STANDARD: Kommt im neuen Vierteiler die Vorgeschichte?

Portisch: Die vier Folgen haben die Aufgabe, die beiden großen Jubiläumsdaten wahrzunehmen. Da kann ich leider nicht 1920 mit den antisemitischen Kundgebungen des Herrn Kunschak anfangen. Jedoch: Wir haben diesen Blickpunkt unentwegt im Auge. Wenn ich sage: Schanzarbeiten am Südostwall, erwähne ich selbstverständlich ungarische Juden, selbstverständlich Todesmärsche.

Wenn wir sagen: Befreiung Mauthausens, selbstverständlich alle Konzentrationslager in Österreich und Augenzeugen dazu. In der ersten, zweiten, dritten Folge zieht sich als roter Faden durch, was die Republik in der Nazifrage versäumt hat. Den Rückblick auf das Jahr 1938, Arisierung, Pogromnacht machen wir in der vierten Folge. Und ich hole heraus, was Österreich lang nach dem Staatsvertrag schuldig blieb: das Bekenntnis unserer Mitverantwortung.

Ich tue mein Möglichstes in viermal 100 Minuten. (DER STANDARD, Printausgabe, 8.4.2005)