Wien - Oft haftet solchen Veranstaltungen eine unangenehme Veteranenromantik an: Von Schlachten, die überlebt oder gar gewonnen werden, erzählt es sich später ebenso leicht wie verklärt. Nichts davon hier: Am Dienstag erinnerten Protagonisten der Demonstrationen gegen den berüchtigten Hochschulprofessor Taras Borodajkewycz völlig unsentimental, wie das damals vor 40 Jahren war, als mündige Bürger aus allen politischen Lagern daran gingen, den Mief von tausend Jahren aus den Talaren auszulüften. Die Demonstrationen mündeten in schweren Schlägereien, bei denen am 31. März 1965 der ehemalige KZ-Häftling Ernst Kirchweger vom Neonazi Günter Kümel zu Boden geschlagen und so schwer verletzt wurde, dass er wenige Tage später starb.

Ein wenig von den Hintergründen und ihren persönlichen Verwicklungen in eine Geschichte, die Max Koch vom Republikanischen Club als Beginn des zivilgesellschaftlichen Aufbruchs in Österreich bezeichnete, erzählten Lotte Tobisch, Peter Kreisky, Ferdinand Lacina und Gerhard Bronner. Letzterer etwa war von den Studienfreunde seines Sohnes, Heinz Fischer und Ferdinand Lacina, hineingezogen worden: Die beiden Studenten an der Universität für Welthandel hatten penibel notiert, was Borodajkewycz an antisemitischen Tiraden während seiner Vorlesungen vom Stapel ließ. Und stürzten damit die Arbeiterzeitung in veritable Nöte: Immer wenn diese - als einziges Blatt in Österreich - etwas davon druckte, wurde sie beschlagnahmt. Bronner machte aus den Notizen eine Kabarettnummer im noch jungen Fernsehen - und fand sich in der Folge sowohl an der Spitze der Demonstrationen als auch vor dem Kadi wieder.

Lotte Tobisch wieder missachtete den Rat ihrer Frau Mama, bei Demonstrationen am besten die Türe zu verschließen, mischte sich ein - und trug prompt eine tiefe Platzwunde am Kopf davon. Peter Kreisky erinnerte sich, wie wenig Unterstützung damals von der Führung des Verbandes Sozialistischer Studenten kam, dessen Funktionäre Hannes Androsch und Beppo Mauhart es sich "so knapp vor den Wahlen" mit dem nationalen Lager nicht verscherzen wollten.

Androsch habe, so Lacina ergänzend, schon damals einen ausgeprägten Pragmatismus zur Schau gestellt: Die Auseinandersetzung mit Borodajkewycz lohnte umso weniger, als der doch als ausgesprochen leichter Prüfer an der Universität wenig Schwierigkeiten machte.

Der heutige Präsident der Liga für Menschenrechte sah das damals schon anders und handelte danach. Lacinas Notizen beendeten die akademische Karriere des Ewiggestrigen nicht unmittelbar, verkürzten sie aber beträchtlich - und setzten eine Auseinandersetzung der studentischen Intelligenz mit der universitären Autorität in Gang, die sich über Jahrzehnte ziehen sollte.

Den Kontext zur heutigen politischen Situation würden alle gerne ein wenig optimistischer beschreiben. Sie habe nach dem Tod Kirchwegers gehofft, dass "die Leute jetzt endlich kapieren werden", meinte Tobisch: "Leider haben sie nicht." Borodajkewycz sei nie wegen Wiederbetätigung verurteilt worden, sagte Bronner - und er sei nicht sicher, ob die Richter heute anders urteilen würden. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.4.2005)