Von Montag bis Freitag täglich eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten – Archiv – zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Echo-Verlag

Es war vor einigen Jahren. Aber seither taucht die Geschichte wie das Amen im Gebet wieder auf, sobald irgendjemand eine Dose oder Schale mit Erdnüssen auf den Tisch stellt. Und es gibt immer wen, der nicht nach dem ersten Satz angewidert das Gesicht verzieht, sondern mit interessierter Miene die Ohren spitzt. Schließlich geht es um Ausscheidungen. Um menschliche Ausscheidungen. Das Thema funktioniert. Immer.

Es begann damit, dass ich – in einem anderen Leben bei einem anderen Blatt – eine Geschichte über die alte Donau schrieb. Weil die – ihr oberes Ende – doch im Sommer regelmäßig als nicht-beschwimmbar klassifiziert wird. Weil der Mensch den Schwan so lange füttert, bis der das Wasser so voll geschissen hat, dass irgendwelche Algen ... Und so weiter.

Gänsehäufelsperre

Manchmal aber wird dann auch das Wasser rund ums Gänsehäufel gesperrt. Obwohl dort kein Fütterer hockt, kein Schwan frisst und keine Schwanenkacke treibt. Und – nicht oft – trotzdem Fäkalkeime das Wasser ein bisserl verpesten. Der Bademeister versuchte, den Hunden die Schuld zu geben. Weil die angeblich ins Wasser kacken. Aber die Wirklichkeit war natürlich menschlich.

Version A lieferte ein auch sonst etwas seltsame Weisheiten erzählender Hygieniker: das Wasser, das Nacktbadern beim Schwimmen zwischen den Pobacken hindurchliefe, meinte er, sorge für „rektale Ausspülungen“. Das hätten wir von der Freikörperkultur. Version B zeigte ein Kabanen-Besitzer dem Fotografen: Anstatt ein paar hundert Meter aufs Klo zu gehen, ließen (vor allem Männer) einfach die Hose im kniehohen Wasser herunter. Bingo.

Lustiger Humbug

Natürlich wurde in den Wochen darauf (das ohnehin räumlich beschränkte Gänsehäufel Badeverbot war längst aufgehoben) ständig und mit Genuss bei jeder Gelegenheit ausführlich über Version A und B diskutiert. Und irgendwann – ich glaube es war im Krapfenwaldbad – lag auch eine weniger moralinsaure Hygienikerin mit uns in der Sonne: Das mit den Ausspülungen, meinte sie, sei „Schwachsinn. Lustig, aber Humbug.“ Dann ging sie Erdnüsse holen.

Ob wir eigentlich wüssten, wo Hygieniker – regelmäßig – die meisten Fäkalkeime feststellen würden, fragte sie als sie zurückkam. Wir nahmen von ihren Nüssen und rieten. Nein, nicht am Klo, sagte die Frau. Auch nicht an Häusl-Türgriffen oder Wasserhähne ebendort (obwohl das schon ganz gut sei). Und auch nicht an Hosentürl-Zippverschlüssen. Die höchsten Fäkalkeimkonzentrationen, sagte die Hygienikerin und hob die Erdnussschale hoch, würden an den Rändern jener Erdnussgläser gemessen, in Bars auf den Theken stünden.

Glasrand

Weil – vor allem Männer – sich nach dem Toilettengang oft die Hände nicht wüschen. Und es kaum jemand schaffe, sich Erdnüsse zu nehmen, ohne am Glasrand anzustreifen. Darum gäbe es ja auch die auf den ersten Blick seltsam anmutende Vorschrift, Löffel zu den Erdnüssen zu legen – auch wenn die von kaum jemandem benutzt würden. Danach ging die Hygienikerin schwimmen. Ihre Erdnüsse ließ sie stehen. Niemand griff zu.

Seither taucht die Erdnussgeschichte jedes Mal dann auf, wenn irgendwo ein Becher mit Erdnüssen vor zu vielen Menschen steht. Und in der Regel ist es derjenige, der die Geschichte erzählt, der danach das Glas leer isst. Und zwar ohne zu teilen.