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+++Pro Von Ljubisa Tosic

Ist es bisweilen schon schwer genug zu verstehen, was ein Delikt ist (siehe Finanzminister) - um wie vieles schwerer ist es, das Wörtlein Kavaliersdelikt exakt zu deuten! Klar ist: Länder, die Macht in eine unkontrollierte Hand legen, tendieren dazu, den Deliktbegriff weit zu fassen. In Weißrussland verfiel etwa der "Vater" der Nation, Alexander Lukaschenko, auf die Idee, Unternehmer, die vorgesehene Wirtschaftswachstumszahlen nicht erreichen, mit "Tageslichtentzug" von bis zu drei Jahren zu beschenken. Gerade solche Systeme tendieren andererseits dazu, ihren Lieblingen all das, was bei uns Gerichtsärger bedeuten würde, als Kavaliersdelikt nachzusehen.

Mag man es als ausgleichende Ungerechtigkeit empfinden, dass solche Lieblinge, so sie in Ungnade fallen, schnell von Kavalieren zu Bewohnern recht enger Räume werden (Oligarch Chodorkowski), so ist diese Mischung aus Strenge und Beliebigkeit für die Integrität der Bürger verheerend. Klar ist folglich: Dauerhaft wohlfühlen kann man sich nur in Systemen, in denen Justitia zwar aktiv ist, aber blind bleibt. Also klar zwischen Delikt und Kavaliersdelikt unterscheidet, aber dann alle gleich behandelt. Ebenso wichtig scheint jedoch auch Justitias Verzicht auf Überpedanterie, was uns zur Unverzichtbarkeit des Begriffes Kavaliersedikt führt. Seine zu großzügige Auslegung ist zwar ungesund. Ohne ihn scheint aber keine Gesellschaft frei atmen zu können. Und er scheint auch, das Lesebedürfnis zu steigern - wenn man das Phänomen "Wochenendzeitung" betrachtet.

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Contra---
Von Tanja Paar

Das Kavaliersdelikt verdient unser Mitleid, denn es ist eine aussterbende Gattung. Wenn die Kavaliere sich schon rar machen, werden Zeitungsdiebstahl am Sonntag, genommene Vorfahrten und nicht eingehaltene Termine zu vernachlässigbaren Größen. Die heutigen Kavaliersexegeten, allesamt metrosexuell geworden, machen gerade einmal von sich reden, wenn sie wieder die Unterhosen der Freundin anziehen, statt die eigenen zu waschen. Das ist ein Jammer.

Mehr Beachtung verdient da meiner Meinung nach der Fräulein-Fauxpas - oder, politisch korrekt ausgedrückt - die Damenentgleisung. Heutzutage, wo sich nur noch die Frauen zu benehmen wissen, wird es erst interessant, wenn sich die Kollegin von einem Tag auf den anderen in den Ärmel schnäuzt - oder - ein Fall von frechem Mundraub - ungefragt vom Nachbarteller schnabuliert.

Sehr beliebt und von hohem Unterhaltungswert sind die Damenentgleisungen auf dem Kinderspielplatz: Zum Beispiel, wenn ein anderes Kind dem eigenen das Schauferl weggenommen hat und gar nicht wieder hergeben will. Da wird die Dame schnell zum Tier, springt in die Sandkiste und fährt die Krallen aus. Das müssen die Stilettos aushalten.

Ebenfalls ein Härtetest sind Zeitgenossinnen, die gerade eine Krautsuppen-Diät machen: Schlechte Laune haben und dazu auch noch in der Öffentlichkeit furzen, das stellt jeden Kavalier, der mit quietschenden Reifen direkt vor dem Theater auf dem Behindertenparkplatz hält, spielend in den Schatten. (Der Standard/rondo/15/04/2005)