Zur Person

Ahdaf Soueif (55) gehört zu jenen arabischen Autoren, die nach Westeuropa gingen und versucht haben, die Begegnung mit der kulturellen Fremde zu beschreiben. Ihr bekanntester Roman "Die Landkarte der Liebe" erschien 1999. Soueif lebt in London und Kairo.

Beim Vienna Writer's Festival wird sie am 27. April 19 Uhr und am 29. April 21 Uhr im RadioKulturhaus lesen.

Foto: Vienna Writer's Festival
"Die Landkarte der Liebe" ist ihr bekanntester Roman. Hier die Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen der Autorin und dem Initiator des Festivals Michael March über die Macht der Gewalt über Kultur und über den Islam.


March: Ihre jüngste Essay-Sammlung "Mezzaterra" beginnt mit einem Koranzitat: "Wahrlich, der Angesehenste von euch ist vor Allah der, der unter euch der Gerechteste ist." Warum haben Sie dieses Zitat gewählt? Ahdaf

Soueif: Das Zitat beginnt mit "O ihr Menschen, Wir haben euch von Mann und Weib erschaffen und euch zu Völkern und Stämmen gemacht, dass ihr einander kennen möchtet". Und es geht weiter mit "Wahrlich, der Angesehenste von euch ist vor Allah der, der unter euch der Gerechteste ist". Soweit es Gott betrifft, gibt es keine Wahl zwischen Menschen einer Nation oder einer anderen, eines Stammes oder eines anderen. Das letztgültige Maß für Menschen ist, in der Sprache dieses Zitats "der, der unter euch der Gerechteste ist". Im Arabischen bedeutet der Ausdruck "Gerecht", sich im Alltagsleben nach bestimmten Richtlinien zu verhalten, gerecht zu sein, wahrheitsliebend, mitfühlend, ehrlich.

March: Hannah Arendt sagt "Barmherzigkeit verlangt nach Ungleichheit".

Soueif: Vielleicht ist Barmherzigkeit eine Eigenschaft Gottes, während Mitleid eine Eigenschaft des menschlichen Wesens ist.

March: Wo stehen wir?

Soueif: Ich hatte geglaubt, dass wir in eine Periode des echten Post-Kolonialismus eingetreten sind: Ein Freiraum, in dem der ideologische, emotionelle, philosophische Unterbau der Ungleichheit verworfen wurde, abgelehnt vom Westen, unseren früheren Kolonialherren. In den Sechzigern hatte es den Anschein, dass Kolonialismus zutiefst inakzeptabel wurde, zusammen mit Rassendiskriminierung, Unterdrückung von Frauen, Verprügeln von Schwulen. Und jetzt finden wir heraus, dass diese neue Gleichheit auf Sand gebaut war. Dass der Gedanke, dass es riesige, grundlegende und nicht verhandelbare Unterschiede zwischen Kulturen und Völkern gibt, einer ist, der stark geblieben ist und das könnte das Konzept sein, das die Welt in den kommenden Dekaden bestimmt.

March: Man will nicht Sklave sein.

Soueif: Ich vermute, jemand wie ich wird immer naiv sein, weil ich nicht verstehe, wieso man nicht verhandeln kann. Es gibt die Tradition, Vereinbarungen zu treffen, zu verhandeln, etwas gegen was anderes einzutauschen, Probleme zu lösen. Warum nicht? Wie kann es dann sein, dass heute, im 21. Jahrhundert, alles auf der Basis der nackten Gewalt entschieden wird?

March: Kunst ist eine Art Selbstschutz - als privates Kleinod der Welt zurückgegeben - "die Kraft der Steine".

Soueif: Man ist irgendwie ein Aussteiger, aber nur im positiven Sinne. Denn die Sache, mit der man sich beschäftigt, hat ihre eigene Autonomie. Man hält an einer Welt fest, in der bestimmte Dinge wichtig sind. Eines davon ist Kultur.

March: Und dann gibt es noch die Frage des Terrors. Ist sie nicht auch ist eine Frage der Kontrolle, der Kontrollmechanismen.

Soueif: Wenn die westlichen Durchschnitts-Massenmedien heute über "Terror" schreiben, meinen sie hauptsächlich Selbstmordattentäter und das, was im Irak und in Palästina passiert. Wenn man aber zurückschaut, dann war das, was in Frankreich nach der Revolution als "le Terreur" bezeichnet worden ist, was ganz anderes. Der Begriff "Terror" sagt viel mehr über die Gesinnung der Person aus, die diesen Begriff verwendet als dass er irgendeine spezifische Aktivität beschreibt.

March: Wir warten auf die Geburt einer alternativen Philosophie, eines politischen Systems, einer echten Alternative. Vielleicht passiert das aber nie.

Soueif: Manche Leute würden sagen, dass der Islam als politische Ideologie eine Alternative biete. Vielleicht geht es im gegenwärtigen Konflikt genau darum? Dass alle zustimmen sollen, dass ein bestimmtes Kapitalismusmodell triumphiert hat und es keine Alternativen gibt.

March: Warum wird der Islam so missverstanden?

Soueif: Das ist eine historische Angelegenheit. Der Westen hat sich selbst schon seit vor den Kreuzzügen als "nicht-islamisch" definiert.

March: Nennen Sie fünf Punkte des Islam, welche die Geschichte verändern könnten.

Soueif: Wenn man - statt darauf zu schauen, was bestimmte Muslime getan haben - darauf schaut, was der Islam über sich selbst sagt, findet man viele ethische Positionen, auf die man aufbauen könnte. Vielfalt und Gleichwertigkeit sind ein sehr guter Ausgangspunkt: Etliche Texte feiern die Vielfalt und sehen sie als positiven Wert. Und mit der Vielfalt geht Gleichwertigkeit Hand in Hand.

Die Betonung des Wissens. Der Islam hat sich - bis zu den jüngsten Zeiten des Verfalls - nie gegen die Wissenschaft gestellt.

Die gleichzeitige Ermutigung, sich in der Welt zu engagieren und sich zu distanzieren: "Lebe für die kommende Welt so, als ob du morgen sterben müsstest und lebe für diese Welt so, als ob du ewig lebtest."

Das Konzept des "Zakat", diese Idee der Umverteilung des Vermögens: dass ein bestimmter Teil deines Vermögens, ein bestimmter Teil deines Kapitals und ein bestimmter Teil deines jährlichen Einkommens von vornherein nicht dir gehören sondern den Armen.

Das Konzept der Beratungen, dass keiner das Monopol hat, zu wissen, was zu tun ist, sondern des Fortschritts durch Beratungen.

Und schließlich noch die Idee der Gemeinschaft. Die eine Verantwortung fühlt für das Wohlergehen der jeweils anderen. (DER STANDARD, Printausgabe, 16./17.04.2005)