Der Standard: Was macht das besondere Image von italienischem Design aus?
Rosario Messina: Der Erfolg der italienischen Möbelindustrie basiert auf zwei Ursachen. Schon seit über 50 Jahren haben sich italienische Unternehmer dem internationalen Markt und den Gestaltern aus aller Welt geöffnet. Italienische Unternehmen haben es ausländischen Architekten und Designern ermöglicht, in Italien kreativ zu sein. Die zweite Ursache ist, dass es nach dem Zweiten Weltkrieg eine Vielzahl kleiner Familienunternehmen gab. Es waren nicht etwa 300 Großbetriebe, sondern ein Netz von 3000 kleineren, eigensinnigen Unternehmen. Dies führte zu einem riesigen Angebot und einer großen Vielfalt der Stile.

Und warum hat das Design selbst einen derart hohen Stellenwert in Italien?
Messina: Der Designmarkt war zunächst sehr homogen, es ging nach dem Krieg um Bedarfsdeckung und um Funktionalität. Eine der ersten Firmen, die bei der Gestaltung von Sofas und Stühlen auf ein spezifisches Design setzten, war Cassina. Im Grunde kann man sich ja auf jeden Stuhl, jedes Sofa setzen. Doch Designer wie Giò Ponti entwickelten ein Höchstmaß an Originalität, Hersteller wollten sich mehr und mehr unterscheiden. Die Menschen wurden anspruchsvoller, entwickelten mehr Gefühl für Stil, wollten besondere Möbel - so wie sie Mode wollen und nicht einfach Kleidung. Der Boom bei den Modedesignern wie Armani, Ferré, Valentino, Versace war auch eine Folge eines verfeinerten Geschmacks, des Sinnes für Eleganz. Dieser hat sich übrigens zuerst bei den Möbeln entwickelt, viel früher als bei den Modedesignern.

Und darauf basiert auch das große Selbstbewusstsein italienischer Gestalter?
Messina: Das hat wohl mit unseren Genen zu tun. Wir Italiener haben einen Sinn für das Schöne. Wenn von Kreativität und Kunst die Rede ist, hat das historische Wurzeln. Das zieht sich über Jahrhunderte. Ein hoher Prozentsatz der großen Kunstwerke der Welt ist italienischen Ursprungs. Ich glaube, dass diese Kreativität zu unserem Wesen gehört, zu unserer Lebensart. So wie die Perfektion in Sachen Technologie etwa zu Deutschland gehört. Im Gegensatz zu Italien ist es dort oft kalt, das Wetter treibt einen in die Häuser. Bei uns ist es fast immer warm, Wetter und Natur gehören stärker zu unserem Alltag, das fördert die Kreativität und ist gut für Künstler.

Wo liegen nach all diesen Erfolgsjahren die Gefahren für italienisches Design, wo die Chancen?
Messina: In Zeiten der Globalisierung muss sich die Dimension und Struktur der Unternehmen ändern. Bislang besteht die industrielle Struktur aus kleinen und mittleren Unternehmen. Die können auf den veränderten Märkten nicht mehr bestehen. Viele kleinere werden vermutlich untergehen, sollten sie keine Möglichkeit für sich finden, ihren Umsatz zu steigern. Was die künstlerische Seite betrifft, muss das italienische Design künftig stärker forschen und wesentlich innovativer werden. Aus den neu entstehenden Märkten wie China drängen verstärkt billige Kopien nach Europa. Man muss einen Schritt voraus sein, damit nicht eines Tages die Kopien die Originale vom Markt verdrängen, nur weil diese billiger zu produzieren sind.

Sie sagten aber, Grundlage des italienischen Designs seien die kleinen Betriebe. Wie schaut deren Perspektive aus?
Messina: Derzeit nimmt die Zahl der Hersteller und Marken ab. Für die Verbleibenden stabilisiert sich damit die Situation. Es gibt die Tendenz, dass kleinere und mittelgroße Unternehmen, Firmen, wie sie besonders im Veneto angesiedelt sind, von größeren aufgekauft werden. Viele Marken gehen nun unter einem neuen Dach auf. Gerade bei den Designherstellern gibt es viele Veränderungen. Private Equity-Fonds wie "Opera" und "Charme" investieren und ermöglichen Firmen wie B&B Italia, Poltrona Frau und Cappellini zu investieren und ihren Absatz zu vergrößern. In dem Bereich des Marktes, in dem meine Firma Flou tätig ist, gibt es vergleichbare Entwicklungen. Weil viele andere Bettenhersteller verschwunden sind, wird der Markt für uns größer. Betrachtet man den Markt der Polstermöbel, gibt es im oberen Marktsegment noch Flexform, Minotti, Poltrona Frau und im mittleren und unteren Segment Nantuzzi. Sehr kleine Manufakturen können bestenfalls durch Zusammenschluss bestehen.

Sie sind nicht nur Unternehmer und Marktbeobachter, sondern als Präsident von Cosmit auch Chef der Mailänder Möbelmesse. 2006 entsteht ein neues Messegelände außerhalb Mailands, entworfen von dem Architekten Massimiliano Fuksas. Bislang lebt Mailand vom Zusammenspiel zwischen dem Messegelände und den vielen Showrooms in der Stadt. Wird es künftig dabei bleiben?
Messina: Schon heute ist die Mailänder Möbelmesse mit ihren Spezialmessen für Küchen, Textilien, Büros und Beleuchtung zu einem Wallfahrtsort für Kreative aus aller Welt. Für 2006 haben viele Hersteller wie etwa Driade oder Matteograssi die Rückkehr auf die Messe angekündigt. Manche bleiben in ihren Showrooms in der Stadt und stellen zugleich auf der Messe aus. Andere wie Cappellini oder B&B Italia beschränken sich auf ihren eigenen Showroom. Das Problem ist: Die Messe schließt um 18 Uhr. Wer danach seine Kunden und Journalisten unterhalten und informieren will, muss eigene Foren entwickeln. Daher werden die Fuori im Zentrum Mailands weiterhin nebeneinander existieren.

Aber die Messe ist dann weit abgelegen ...
Messina: Keineswegs! Die neue Messe ist von der Stadt entfernt in 20 Minuten mit der U-Bahn und in 40 Minuten mit dem Auto zu erreichen. Was man an Anfahrtszeit mehr braucht, gewinnt man durch bessere Übersichtlichkeit. Heute gibt es über ein großes Gelände verstreut 26 verschiedene Pavillons mit verschiedenen Stockwerken. Das neue Messegelände hat nur noch sechs ebenerdige Hallen und zwei mit einem zweiten Stockwerk. Außerdem wird es Parkplätze für 30.000 Autos geben.

Architekt Massimilano Fuksas ist bekannt für seine organischen Strukturen. Setzen sich diese bis in den Innenbereich der Gebäude fort?
Messina: Nein, das ist ein Thema der gläsernen Außenhülle und Zugangsbereiche. Im Innern sind die Hallen sehr linear gestaltet. Jeder Pavillon besteht aus 32.000 Quadratmetern, die jeweils in der Hälfte geteilt sind, jeweils mit nur drei Säulen.

Wenn wir 20 Jahre vorausblicken: Wird es dann österreichisches, spanisches, italienisches Design überhaupt noch geben?
Messina:Sicherlich wird durch die Globalisierung der Markt homogener werden, als wir es gewohnt sind. Trotzdem spielen lokale Besonderheiten wie "Made in Italy" oder "Made in Germany" weiterhin eine Rolle. Produkte sind heute nicht mehr für ein Land konzipiert, sie sind für die ganze Welt gedacht. Was eine internationale Oberschicht für trendy hält, wird sich schneller angleichen. Dazu tragen Internet und Fernsehen ebenso bei wie das Reisen. Innovation hat lokale Quellen. So begeisterte man sich zum Beispiel auf der ganzen Welt für Sushi. In Japan gibt es großes Interesse für italienische Wohnkultur und Mode. Der Designgeschmack wird auf der ganzen Welt sehr homogen. Ja, es gibt eine massive Angleichung, aber die Globalisierung verschafft zugleich regionalen Tendenzen den Zugang zu den internationalen Märkten.

Zur Person

Rosario Messina (62) wurde in Aci Castello (Sizilien) geboren. Er begann seine Karriere im designorientierten Kaufhaus La Rinascente in Catania, nebenher schloss er in nur einem Jahr sein Studium ab. Er wechselte ins Regional-Management des Elektrogeräteherstellers Zanussi-Rex. 1978 gründete er sein Unternehmen Flou. Seit 1999 ist er Präsident von Cosmit, der Organisation, die jährlich den Salone Internazionale del Mobile und weitere Design- und Einrichtungsmessen in Mailand ausrichtet. Flou produziert heute 40 verschiedene Bettenmodelle, allesamt von bekannten Designern entworfen. Der Marktführer in Italien liefert heute in über 60 Länder weltweit. (Der Standard/rondo/28/04/2005)