Wien - Darf man einem zeitgenössischen Chronisten glauben, so montierte Joseph Haydn den berühmten Paukenschlag in das ansonsten gemach dahinfließende Andante seiner G-Dur-Symphonie (Hob. I : 94), um sein Publikum aus der Verdauungstrance zu wecken, in die es nach dem vor den Konzerten eingenommenen üppigen Dinner regelmäßig verfiel. "Da werden die Weiber aufschrecken", soll der Meister in der Vorfreude auf die erhoffte Wirkung seines instrumentationstechnischen Einfalls ausgerufen haben.

Heute freilich reagiert das Publikum - vor allem jenes des Wiener Musikvereins - auf Haydns Paukenschlag mit der Gelassenheit der Kenner. Stehen als Stimulanzien für allfällige Adrenalinschübe gegenwärtig in immer wieder loswinselnden Handys doch viel probatere Mittel zu Gebote. So hat just in einer Pause zwischen zwei Sätzen der in Rede stehenden Haydn-Symphonie ein solches ganze Arbeit geleistet.

Vor allem Dirigenten pflegen in solchen Fällen in Zornesstarre zu verfallen. Nicht so Riccardo Muti: Mit dem Charme, um den ihn sogar ein Hans-Joachim Kuhlenkampff hätte beneiden können, wandte er sich in Richtung des belämmerten Handyinhabers und sagte mit freundlich einladender Gebärde, "answer"! Eine Reaktion, die man vor allem von Riccardo Muti nicht vermutet hätte. Beinah ein emotionaler Paukenschlag.

Wie der Philharmoniker besonders lieber Maestro an diesem Nachmittag des vergangenen Samstags - bei aller gewohnter Konzentration - so locker, so gelöst wirkte, wie man ihn bisher kaum kannte.

Lockerer Maestro

Ohne in sehr äußerliche Details etwas hineingeheimnissen zu wollen, wirkt Muti nach seiner Trennung von der Scala sicht- und hörbar erleichtert. Dass die Haydn-Symphonie den Philharmonikern auch unter anderen Bedingungen nicht ebenfalls so leicht, so federnd und trotzdem so eindringlich geraten wäre, steht außer Frage.

Doch bei Alexander Skrjabins Symphonie Nr. 3, in c-Moll, die auf den etwas bedrohlichen Beinamen Le Divin Poème hört, begaben sich die Philharmoniker mitsamt Muti auf weniger vertrautes Terrain, auf dem sie sich jedoch mit frappierender Selbstverständlichkeit bewegten.

Geradezu virtuos gegliedert erschien die sich weitläufig verästelnde schlierige Melodik, und der durch den oftmaligen Einsatz der melodieführenden Trompeten und durch den Mix zwischen Blech und Streichern bestehende typische Skrjabin-Sound wurde durchwegs authentisch realisiert.

Kein Wunder, dass der Jubel sogar nach einem solchen Monsterwerk Fortissimostärke erreichte. (Der Standard, Printausgabe, 2.5.2005)