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Neue Architektur und altes Erbe - "wenn man sich die Stadt Wien anschaut, betrifft das so gut wie jeden Quadratzentimeter", leitete die Moderatorin und Standard-Architekturkritikerin Ute Woltron die Diskussion ein. Auch die Situation des 20er Hauses, die Frage nach Architektur-Landmarks sowie das Pro und Kontra zum Thema Investorenarchitektur waren Gesprächsstoff im Wiener Haus der Musik.

Eingeladen, ihre Meinung kundzutun, waren der Wiener Planungsstadtrat Rudolf Schicker, die Architektin Bettina Götz, Thomas Jakoubek, unter anderem Vorstand der Wiener Entwicklungsgesellschaft für den Donauraum AG, und Architekt Carl Pruscha.

Beer fehlte

Am Tischchen, das ursprünglich für Burghauptmann Wolfgang Beer reserviert war, saß Architekt Adolf Krischanitz. Beer hatte seine Teilnahme an der Runde wenige Stunden zuvor abgesagt. Begründung: Er wolle nicht nur über das 20er Haus diskutieren.

Schicker meinte gleich zu Beginn des Abends, Aufgabe der Architektur sei es nicht, um jeden Preis zu provozieren oder eine Stadt radikal zu verändern, sondern eine Auseinandersetzung mit modernen Lebens- und Wirtschaftsformen zu ermöglichen. Bettina Götz sah diesbezüglich in der sehr intakten Altbausubstanz Wiens einen Umstand, der die "Sache nicht unbedingt vereinfacht.

Immerhin ist das K47-Gebäude der Architekten Henke und Schreieck der erste Neubau im 1. Bezirk seit Hans Holleins Haas Haus aus dem Jahre 1985." Das ist Götz zu wenig für eine Stadt. "Wien kann als Stadt, genauso wie jede andere, nur dann interessant sein, wenn das Alte mit dem Neuen eine Symbiose eingeht, wenn die Entscheidung nicht lautet‚ Denkmalschutz oder neue Architektur, sondern wenn Neu und Alt auf derselben Stufe bestehen." Qualität müsse dabei im Gegensatz zu den wirtschaftlichen Interessen der Investorenarchitektur im Vordergrund stehen.

Dialog ist wichtig

Thomas Jakoubek zum oft sehr negativen Image so genannter Investorenarchitektur: "Viele meinen, die Architektur beschränke sich letztendlich auf den einen oder anderen Gag. Ich bin der Meinung, dass für gute Architektur primär nicht das Budget, sondern der Dialog mit dem Architekten ausschlaggebend ist. Das ist eine Frage des Ansatzes, und dabei geht es um eine ästhetische Reflexion auf die technologischen und sozialen Anforderungen."

Carl Pruscha, Architekt, Exrektor der Akademie der bildenden Künste und für seinen besonders behutsamen Umgang mit historischer Bausubstanz (Beispiel Semperdepot) bekannt, gibt seiner jungen Kollegin Bettina Götz Recht, wenn er meint, das Neue und das Alte gehörten auf dieselbe Stufe. "Das ist der einzig richtige Weg", so Pruscha. Der Architekt glaubt fest daran, dass man sich auf moderne Weise alter Bausubstanz nähern kann und dass darin viele Chancen liegen.

"Vieles möglich" in Wien

Gerade auf dem Weg dieser Annäherung an ältere Substanz werden dem Architekten Adolf Krischanitz im Rahmen der Neugestaltung des 20er Hauses (Baujahr 1958) finanzielle Hindernisse in den Weg gelegt: Adolf Krischanitz, Gewinner des Wettbewerbs zur Sanierung dieses Wiener Architekturmeilensteins, darauf angesprochen: "Wien ist an sich eine Stadt, in der vieles möglich ist.

Andererseits tauchen immer rechtzeitig gewisse Hindernisse auf. Wirklich herausragende Qualität ist sehr selten." Krischanitz fragt: "Warum ist Wien so? Warum funktioniert es immer nur bis zu einem gewissen Grad?" Krischanitz spricht von einer Art "Angst vor einer wirklichen Qualität". Oft werde diese Qualität dann durch etwas ersetzt, "das so aussieht, als ob".

Was nun die Zukunft des 20er Hauses betrifft, hegt Krischanitz den Verdacht, dass man offensichtlich noch nicht so weit sei, im Gegensatz zu älteren Bauten das Erbe der Moderne als denkmalwürdig einzustufen. Der Zuhörer mag an dieser Stelle freilich meinen, dass man zu dieser traurigen Einsicht schon vor Ausschreibung eines Wettbewerbs hätte kommen können. (Michael Hausenblas, DER STANDARD Printausgabe, 04.05.2005)