Löwenzahn von Thomas Stimm

Foto: MAK

Kugelsichere Westen, Hitzeschilder für Spaceshuttles, Küchenmesser, Zahnersatzteile und wer weiß noch was: Auf den zweiten Blick erscheint der Werkstoff Keramik als grenzenloses Wundermaterial. Der erste Blick jedoch haftet meist noch immer auf Großmamas Teeservice. Mit der Schau "Keramik - Aktuelle Tendenzen aus Österreich" (ab 11. Mai) will das Wiener Museum für angewandte Kunst nun hinterfragen, ob "Keramik imstande ist, die Grenzen zwischen Kunst, Kunstgewerbe und Design zu definieren". In Sachen Anzahl der Exponate ist die Schau äußerst karg - eine Tatsache, welche die Qualität der gezeigten Objekte jedoch locker wettmacht.

Wer allerdings mit der Vorfreude den Weg ins MAK antritt, auf Neuinterpretationen klassischer Alltagsgegenstände oder ein Stückchen einer Rakete zu stoßen, wird enttäuscht werden. Katja Miksovsky, die seit vergangenem November für die Keramik-Sammlung des Museums zuständig ist, spricht davon, "das Material an den Schnittstellen von Kunst und Kunsthandwerk zu zeigen". Davor, die Grenze zwischen Design und Kunst zu ziehen, will sie sich hüten. Sie spricht weiters von einer spürbaren Tendenz, dass sich Keramik, in welcher Form auch immer, als Medium für bildende Künstler im Aufwind befinde. Das Material, das hier zu Lande im Gegensatz zu Großbritannien oder Frankreich in einem recht gedimmten Licht daherkommt und nicht selten nach Bastelstunde schmeckt, zeigt sich im Museum in Form von fünf ausgewählten Positionen zeitgenössischer österreichischer Gestalter.

Superman oder was?

"Ist es ein Vogel? Ein Düsenjäger? Eine Rakete? Nein, es ist Superman!", rufen per Sprechblase wüste Fratzen, die, so scheint es, aus einem romanischen Fresko aus- gebüxt sind. Über ihren Köpfen, die auf eine Platte unglasierten Tons aufgebracht sind, schwebt, mittels Folie aufgetragen, der Superheld in Superheld-Kostüm. Im Rahmen eines neunteiligen Wandfliesenreliefs, die Arbeit nennt sich "Nothelfer", will Wilfried Gerstel mittelalterliche Formensprache mit Superman-Comic-Zitaten vereinen und schafft es so, die Handwerksmacharten zweier weit entfernten Epochen zu vereinen.

Auf ähnlichen Pfaden wandelt Gideon Koval mit seinem Trickfilm "a star". Die Hauptfigur ist ein Männlein aus Ton, das in einer tönernen Umwelt davon träumt, Rockstar zu werden, und letztendlich durch den Stromschlag seiner E-Gitarre in der Badewanne "gebrannt" wird. Koval versteht die Einzelbildaufnahmen seines Filmes als eine Art "temporäre Erstarrung" oder "alternative Brennmethode". Er spricht weiters von einem "virtuellen Brennofen, der hier der Konservierung prozesshafter Keramik dient."

Schräg gegenüber dieses Musikstücks findet sich Irmgard Schaumbergers fünfteilige Serie "Zusammen". Die Künstlerin zweckentfremdet beim Brennvorgang verwendete Cordieritplatten - vorgefertigte Platten aus keramischem Material - und macht sie zu Bildträgern für Siebdrucke. Ihre Motive sind Landschaftsfotos, die Keramik wird auch in ihrem Falle in einem anderen Kontext verwendet.

"mon petit poudrier"

Gerold Tusch nimmt mit seiner Arbeit "mon petit poudrier" auf das so genannte Dubsky-Zimmer Bezug, ein Rokoko-Raum, der für die permanente Schausammlung des MAK originalgetreu nachgebaut wurde. Tuschs Projekt, das aus 38 Einzelteilen besteht, lässt das Ornament als Träger auftreten. Es gilt nichts zu schmücken, das Ornament steht als Objekt für sich. Arabesken in blässlich grüner Glasur, organisch anmutende Objekte, gleich Früchten von einem unbekannten Planeten, ranken über eine weiße Wand, die völlig austauschbar wird.

Mitten im Raum, wie zufällig dort aufgegangen, schießt ein mannshoher Löwenzahn des Künstlers Thomas Stimm aus dem Boden. Er ersetzt die klassische Keramik-Glasur durch Lackfarben und beschleunigt so den Produktionsprozess. Stimm arbeitet seit vielen Jahren mit dem Material Ton und sieht dieses als Mittel zum Zweck. Auch mit dem Thema Blumen setzte sich der Künstler immer wieder auseinander.

Die Ausstellung kann die eingangs erwähnte Frage, ob Keramik imstande ist, die Grenzen zwischen Kunst, Kunstgewerbe und Design zu definierenden, wohl kaum eindeutig beantworten, aber man kann den Ton kneten und brennen, wie man will - die Schau zeigt in all ihrer Reduziertheit, wie ein faszinierendes Material und klassischer Werkstoff den Sprung in die moderne Kunst schafft, ohne dabei jene ihm immanenten Eigenschaften in den Hintergrund rücken zu müssen. (Michael Hausenblas/Der Standard/rondo/06/05/2005)