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Die geschwollenen europäischen Bedeutungs-bäuche werden in der Koproduk-tion des ZT Hollandia getreulich untersucht: Elsie de Brauw und An Hackselmans mit Servé Hermans.

Foto: APA/Newald
Das Monologpapier "Fort Europa" des flandrischen Autors Tom Lanoye bereichert die Wiener Festwochen mit Feuilletonschrott.


Wien - Was aus der verschlissenen Kontinentalhaut namens Europa einmal herauskriechen soll an Zukunftsfähigem, an zellulär Erfolgsfähigem, steht in den Sternen. Vorderhand locken nur die Computeranzeigen der ÖBB, die im Glaskäfig jenes Foyers hängen, durch dessen Fensterfronten man die Bahnsteige 11 bis 19 auf dem Wiener Südbahnhof rechtzeitig vor Abfertigung der verschmutzten Züge - wahlweise nach Zagreb, Laibach oder auch nur nach Gloggnitz - erreicht. Das Wiener-Festwochen-Theater verordnet sich eine letzte Lockerung. Eine Art Durchzugssituation in der Murksstation - noch immer ist der Südbahnhof ja auch eine nationale Schande! -, die das ZT Hollandia für ein merkwürdiges "Hohelied" auf alle diejenigen nützt, die auf dem Weg durch die Drehtüren des Migrationsverkehrs sich selbst - und ein bisschen dem Theater - abhanden kommen.

Wer siedelt nicht aller zwischen den Bänken, auf Containerpodesten und belustigt sich an der "Welthaltigkeit" eines verschmockten Bahnhofkonzepts. Lümmelt, unter glückliche Festwochengäste gepresst, frisch onduliert in Plastiksitzen, als wären noch die schäbigsten Umschlagplätze eines von bloßer Mühsal gekennzeichneten Personenverkehrs die Kratzstellen und Angelpunkte eines irgendwie ausgedachten Ideen-oder Theaterwarenaustauschs.

Immer dann, wenn nichts mehr geht oder läuft in Tom Lanoyes als Stück getarntem Monologverzeichnungspapier Fort Europa - und es läuft fast gar nichts in dieser öden Erwartungshalle! -, stolpern die realen Nahverkehrsreisenden durch die Bankreihen. Wieder einmal sieht sich das internationale Handelsverkehrstheater, diesmal eben dasjenige von Regisseur Johan Simons, an dem geringen Quäntchen Realität satt, das zu erzeugen es selbst, aus eigenen, theatergemäßen Kräften, sich außerstande sieht.

Lauter Gepäckmarken

Es suhlt sich in einer Bedeutungshaftigkeit, die es an die Mobilität der Ärmeren und Ausgebeuteten wie Gepäckmarken anheftet. Es imaginiert die Not der europäischen "Opfer", die es mit den Fleischbänken des Straßenstrichs und, schon schwerer erträglich, mit dem jüdischen Leid der Holocaust-Opfer identifiziert. Es plustert sich, spielt und singt Schumann, Bach und Mordechai Gebirtig, und schwätzt ansonsten die passierenden, in ihrer Feierabendmüdigkeit molestierten Gäste vollmundig zu. In Wahrheit aber verabreichen die Textbeiträger nichts als prätentiösen Feuilletonschrott. "Der neue Mensch ist ein vollkommener Europäer", erklärt eine blonde Stammzellenforscherin (Hadewych Minis) im taubengrauen Sackkleid, als wäre diese Ophelia der genetischen Optimierung eine Märchenerzählerin aus der Mythenschmiede Peter Handkes. Dieser Heiligen Johanna der Bahnhöfe gesellen sich nacheinander ein Chasside (Aus Greidanus jr.), ein wirrer Buchhaltungskassier als auswanderungswilliger Unternehmer (Fedja van Huêt), schließlich ein Grüppchen Prostituierter, die, auf Operationswägelchen gelagert, sehr unmanierlich von der Hinfälligkeit und der Fruchtbarkeit ihrer roh angezupften Fleischreserven handeln.

Angezapft scheinen jedenfalls die letzten Bedeutungsreste eines im Trüben seiner eigenen, vollmundig bekundeten "Internationalität" stochernden Theaters. Mit den beliebig zitierbaren Schlagwörtern von "Multikulturalität" und "Ideologie" wird das sinnvolle, gegebenenfalls auch schmerzliche Bedenken unvermittelter Kulturwidersprüche bequem - und lukullisch - entsorgt.

So bleibt in der Erinnerung das Nahen schwankender Gestalten, deren überzeugendste, wahrhaftigste diejenigen waren, die diesen koproduzierten Theatertrödel aus Utrecht ungewollt, wie im Traum durchliefen. Der Applaus in den Sitzwartereihen war enden wollend. (DER STANDARD, Printausgabe, 10.05.2005)