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Als Leser wie als Fotograf erspähte Arno Schmidt scharfen Auges, was anderer Flüchtigkeit übersah.

Foto: STANDARD/Archiv
Wien - "Die Welt der Kunst & Fantasie ist die wahre - the rest is a nightmare." Der Mann wusste schon, was Sache ist. Dennoch gilt Arno Schmidt bis heute, mehr als 25 Jahre nachdem er über seiner Arbeit einen tödlichen Hirnschlag erlitt, der gängigen Meinung nach als schwieriger, hermetischer, obskurer Autor, der in erster Linie unverständliches Zeugs von sich gab. Es überwiegt ein Bild von Schmidt als Sonderling, der der Autor des monumentalen, monatelange Hingabe erfordernden Zettels Traum (1970) zweifellos auch war.

Seine rare Sprachbegabung und der große Humor seiner Texte jedoch werden von kleinkrämerischem Dechiffrierversuchen einer nerdigen Germanisten-Fangemeinde, die an Literatur wie an das Lesen eines Kreuzworträtsels herangeht, nach wie vor unter den Tisch gekehrt. Umso schöner, wenn sich in den kommenden Wochen eine ausgesprochen unwissenschaftliche Veranstaltungsreihe Arno Schmidts Tun widmet - noch dazu, wo es in diesem mit Gedenk-, Geburts-und Todestagen so prall gefüllten Jahr eigentlich überhaupt keinen Anlass dazu gibt. Außer einem, der immer gilt: Lust auf gute, zu wenig gelesene Literatur zu machen.

Das hatte auch Arno Schmidt im Sinne, als er auf Einladung von Alfred Andersch 1955 damit begann, für den Süddeutschen Rundfunk unter dem Titel Nachrichten von Büchern und Menschen Sendungen über unbekannte und vergessene Schriftsteller des 18. bis 20. Jahrhunderts zu schreiben.

Anfangs sah er diese Radio-Nachtprogramme vor allem als Chance, seine sehr prekäre finanzielle Situation etwas zu verbessern, bald aber ging der in Zeiten der Gruppe 47 jahrelang weit gehend isoliert arbeitende Solipsist und selbst als Autor damals noch völlig Unbekannte richtiggehend in der neuen Rolle als Trüffelschwein auf.

Besondere Aufmerksamkeit schenkte Schmidt bei der Auswahl der Porträtierten nicht von ungefähr den Underdogs und Verkannten, die der Polizistensohn und Autodidakt als Brüder im Geiste empfinden musste. So leitete er etwa eine neue Welle der Beschäftigung mit dem im Schatten von Schiller und Goethe stehenden Christoph Martin Wieland ein, schuf die Grundlage für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Romanen Karl Mays und ließ sich so lange über die mangelhafte erste deutsche Übersetzung von James Joyces Ulysses aus, bis er eine Neuübertragung angeregt hatte.

Gelehrten-Plauderei

Schmidts leidenschaftlich betriebene Brotarbeiten sind in mehrerlei Hinsicht bemerkenswert. Aus heutiger Sicht weisen die zwischen 1955 und 1961 entstandenen Texte einen geradezu anachronistisch wirkenden intellektuellen Anspruch auf, der sich in einer akribisch recherchierten, bis ins kleinste Detail gehenden Auseinandersetzung mit dem Verhandelten äußert.

Es beeindruckt weiters der leidenschaftliche Ton, der meilenweit über dem nüchtern-geschäftsmäßigen Gebaren der Literaturkritik schwebt. Der Clou aber liegt, wie so oft bei Schmidt, in seiner Meisterschaft der Form bzw. in der Kunst, sich diese für seine Vorhaben zunutze zu machen.

Seine Autorenporträts hat er clever als fiktive Dialoge zwischen einem allwissenden Literaturkenner - hinter dem sich unschwer Arno Schmidt erkennen lässt - und einem naiven, aber wissbegierigen Schüler - als den sich der Autor wohl seinen idealen Hörer vorstellte - angelegt, als eine Mischung aus platonischer Gelehrten-Plauderei und spitzfindiger Doppelconférence eines Gscheiten und eines Blöden.

Nur in wenigen anderen Texten ist Schmidt so zugänglich wie in diesen von beißendem Witz geprägten hörspielhaften Dialogen. Hier geht ihm auch fast völlig jene kauzige Verbissenheit ab, die sich in seiner eigenen Produktion immer wieder unangenehm bemerkbar machte (ohne die ein so umfangreiches und wundersames Werk wie das seine andererseits wohl nicht möglich gewesen wäre). Abgelehnt wird in diesen Nachtprogrammen zwar auch und heftig, aber noch weit gehend ohne die seltsamen Ressentiments, die den späten Schmidt 20 Jahre nach seiner klugen Auseinandersetzung mit dem Krieg und der Adenauer-Ära vergrämt gegen Langhaarige wettern ließen.

Noch waren es nicht Kiffer, sondern Stifter, der seinen Zorn erregte und dessen sanftes Gesetz er mit einem umso härteren Verriss des Nachsommers zerschlug. Diese Lust am Disput will nun eine siebenteilige Lesereihe wiedergeben, die heute Abend in der Hauptbücherei beginnt und bei der bis Ende Juni jeden Mittwoch Schauspieler, Schriftsteller und andere Büchermenschen Arno Schmidts dialogische Porträts über Johann Gottfried Schnabel, Ludwig Tieck, Karl Philipp Moritz oder eben May, Joyce und Stifter vorlesen werden.

Carl Spengler Den Anfang aber macht eine besonders obskure Schmidt-Entdeckung: ein gewisser Carl Spengler, der vor gut 150 Jahren einen umfangreichen Roman mit dem schönen Titel Der Vogelhändler von Imst verfasste. Was sich dahinter verbirgt, wissen nicht einmal gut sortierte Bibliotheken zu sagen. Man sollte es sich ohnehin vor Ort von Arno Schmidt, der mit den Stimmen von Bodo Hell und Karl Ferdinand Kratzl spricht, erklären lassen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18. 5. 2005)