Es gibt zu wenig brauchbare Vorbilder in Politik und Wirtschaft, sagten männliche und weibliche Führungskräfte den Accenture-Beratern in ihrer aktuellen Studie. Genereller Anspruch an Vorbilder ist, "die Entwicklung des Menschen zu fördern und zu fordern". Überwiegend werden Role-Models demnach im privaten Umfeld gefunden. Nur ein Drittel der befragten Managerinnen weist aber Führungskräften aus der Wirtschaft Vorbildfunktion für die Gesellschaft zu. Eigentlich ein ziemlich vernichtendes Urteil für die gegenwärtigen Unternehmensführer. Denn die ideale Mischung aus persönlicher Integrität und Professionalität, die als Lichtgestalt eines absoluten Vorbildes taugt, findet sich dort der Studie zufolge kaum.

Mr. und Ms. Right abzugeben ist aber im Medienzeitalter auch schwierig: Person und Funktion sind einer andauernden öffentlichen Beschau ausgesetzt, und die Ansprüche der Orientierung Suchenden sind andere, höhere: Wenn sonst alles passt, fehlt vielleicht die Väterkarenz. Oder die Bereitschaft, das öffentliche Exposure auf dem Olymp der Vorbilder auf sich zu nehmen.

Was im Gefüge insgesamt fehlt, ist der wertschätzende Blick auf die vorbildlichen Aspekte einer Person. Ob Tante, Chef oder Mitarbeiter. Dabei geht es um das bewusste Wahrnehmen vorbildlicher Eigenschaften, durchaus auch herausgelöst aus dem gesamten Funktionskorsett. Umgekehrt ist das für Führungskräfte aber auch ein Auftrag: bewusstes Weitergeben von Können, Wissen, das Ermöglichen von Ansehen. Dieser Auftrag besteht täglich, ist aber erfüllbar, weil er sich auf die Verantwortung beruft und nicht auf die Notwendigkeit, einen Fixstern im Universum abzugeben. Ja, wir brauchen mehr solche Vorbilder. (Der Standard, Printausgabe 21./22.5.2005)