". . . die Musik trans-portiert eine bestimmte Haltung." Binder stört an der Politik hier zu Lande "alles. Es ist schrecklich." Die Diskussion sei eine "verarmte Leidenschaft, weil jeder gleich beleidigt ist, wenn eine andere Meinung kommt".

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Der besoffene Tischler Attwenger, besungen in einem "Gstanzl" - ein volkstümlicher Vierzeiler - ist Namensgeber für die oberösterreichische Band, die eigentlich keine Band ist, sondern ein "Zustand". Zahlreichen Einflüssen ausgesetzt, reflektieren Markus Binder und Hans-Peter (HP) Falkner alias Attwenger, was sie sehen, was sie stört und was sein soll.

Begonnen hat alles am Schluss. Als letzte von 13 anderen Bands trat das Duo 1990 bei einem Fest in der Wiener Arena um drei Uhr Früh vor "20 Maxeln" auf. Mittlerweile bedient Attwenger mit seinem unkonventionellen Sound ein großes Publikum, nicht nur in Österreich. Der Dialekt auf einer Melange aus traditioneller Ziehharmonika und elektronischen Beats fand nebst Vietnam in Sibirien und Simbabwe und unlängst auch in Mexiko Anklang.

Ihr neues Album befindet sich derzeit in der Produktionsphase. Aber nicht nur in der Musik findet Markus Binder seinen künstlerischen Ausdruck, auch in der Prosa baut er sich sein Nest. Im März 2005 erschien sein Buch "Testsiegerstraße", in dem Kurzgeschichten gesammelt sind. Servietten und Notizzettel beschriftet er zum Beispiel im Zug gerne mit seinen "plätschernden Gedanken". ***

 

STANDARD: Du sagst im Bezug aufs Prosaschreiben, dass du deine plätschernden Gedanken notierst. Wie ist das beim Songschreiben?

Markus Binder: Bei den Liedtexten wird aus dem Plätschern ein Fluss, und das Ganze nimmt eine Strömung an, wenn ich merke, dass der Text Potenzial hat. Ein Faktor bei Attwenger ist die Reduktion aufs Wesentliche. Das mache ich bei den Prosatexten nicht.

STANDARD: Wie lange dauert die Entstehung eines Liedes?

Binder: Wir gehen mit einem Stück schnell auf die Bühne, um es live zu proben - die Reaktion des Publikums ist eine intensivere Erfahrung als die im Proberaum. Um eine Nummer albumtauglich zu machen, muss man aber einen Punkt erreichen, wo man den Kern des Stücks getroffen hat.

STANDARD: Eure Texte sind sehr politisch. Wie wichtig ist euch dieser Ausdruck?

Binder: Wir haben von Anfang an gesehen, dass Attwenger ein politisches und gesellschaftliche Zustände reflektierendes Projekt ist. Auch wo wir spielen, zu welchem Label wir gehen und was wir alles nicht machen, was kommerziell ist - wo man das Gefühl hat, Leute wollen dich nur benutzen -, spielt da rein. Attwenger hat ein politisches Bewusstsein.

STANDARD: Verfolgen eure Songs dann ein gewisses Ziel?

Binder: Sie sind Beiträge zum Diskurs, klar formulierte Meinungen und das künstlerische Streben nach Präzision. Die politische Diskussion ist ja eher eine verarmte Leidenschaft in Österreich, weil jeder gleich beleidigt ist, wenn eine andere Meinung kommt. Die Fähigkeit der Argumentation ist schwach ausgeprägt. Ich frag mich, weshalb nicht viel mehr Aussagen zur Politik kommen. Ist das kein Thema, oder was ist los? Wir können uns ja nicht alle in bestehende Bedingungen einfügen und sagen: "Such ma uns halt a lauschigs Platzal wo ma a Ruh ham, das passt dann scho."

STANDARD: Kann die Kunst einen anderen Zugang zur Kritik bringen?

Binder: In jeder Szene gibt es Formulierungen von Kritik, und ich finde halt die Pop- ecke die interessanteste, weil sie am wildesten und ungezügeltsten ist. Man muss hier Kritik nicht so akademisch und wissenschaftlich formulieren. Kritik traditioneller Kunst empfinde ich oft als zu wenig deutlich. Pop ist ein reflektorischer Pool.

STANDARD: Entwickelt sich dabei die Wirkung auf die Hörer?

Binder: Der Idealfall ist, dass der Hörer eine Art von Erlebnis hat, dass er sagt, "Ja, das sehe ich auch so, ich hab es aber noch nie so formuliert". Die Qualität dieser musikalisch-textlichen Opposition ist, dass sie mehrere Ebenen anspricht. Man packt schon Inhalt rein, aber spielerischer. STANDARD: Der Spaßfaktor fällt also nicht weg? Binder: Unterhaltung ist kein Honiglecken, ist so ein Spruch. Wir fahren viel herum und treffen viele Leute. Das ist für mich die beste Art, Inhalte mit Spaß einzubringen.

STANDARD: Reagieren die Leute auf eure Musik im Ausland anders?

Binder: Man merkt, dass der Umgang mit Musik und Sprache und der Rhythmus in Kombination mit der Ziehharmonika überall eine bestimmte Haltung vermittelt. Das ist das Interessante. Die Haltung transportiert sich nicht durch Worte allein, sondern durch den Umgang mit Tradition und Musik allgemein.

STANDARD: Textest du nur auf Deutsch?

Binder: Nicht einmal Deutsch, nur im Dialekt. Aus dem Grund, weil Dialekt so, wie wir ihn benutzen, einen sehr universalen Sound und auch unendliche Möglichkeiten hat. Du kannst Wörter total verbiegen oder neu erfinden. Wir nützen den Dialekt als musikalisches Element.

STANDARD: Noch einmal zur Politik: Was stört dich aktuell?

Binder: Alles, mich stört alles. Es ist schrecklich. Man kommt sich vor wie in einem Kasperltheater, das sich unter Bedingungen abspielt, bei denen keiner fragt, wer sie hergestellt hat und ob wir sie überhaupt wollen. Die kommunistische Idee hat sich aufgelöst, es geht nur noch darum, wer wem was am besten verkauft. Ich habe den Eindruck, dass das die Leute nicht interessiert. Es gibt wenige, die in Österreich ernsthaft über eine kapitalistische Frage diskutieren können. Das ist so paranoid, das Wort Kommunismus ist sofort böse und abzulehnen, wie eine giftige Schlange.

STANDARD: Wie lautet dein Lösungsansatz dafür?

Binder: Ich halte prinzipiell das Konzept der Nation für einen Blödsinn. Das Wort Nation kommt von "natus" - geboren. Schon im Begriff ist der Ausschluss drinnen. Wie die Geschichte zeigt, funktioniert die Menschheit durch ständige Bewegungen und Durchmischungen, wie in der Musik. Deshalb ist die Popszene eine vorbildhafte Struktur.

(Flora Eder, Julia Grillmayr/DER STANDARD-Printausgabe, 31.5.2005)