Suchen Sie Streit? Es wird ja viel zu wenig gestritten, noch nicht einmal mehr aus Spaß an der Freud. Wenn man es nicht übt, wie soll man's dann können? Grade wenn man sich mit der 1. Klasse herumstreiten muss, sollte man beizeiten geübt haben, sich untereinander, in der 2. Klasse, mit allen und jedem über alles und jedes zu streiten. Nun lebe ich in Wien - mit wem will man hier streiten? Und worüber? Ist doch alles wunderbar hier. N. hat eine Zeit lang Wien-Infos für ausländische Investoren gesammelt, dabei zeigte er mir den Entwurf eines "Wiener Mentalitäts-Guide". Ortsfremden Investoren wird darin geraten einzukalkulieren, dass Wiener nie Nein sagen. Es gäbe aber etwa 23 verschiedene Wiener Arten, Ja zu sagen, und welches das neinigste Ja ist, müsse man selbst herausfinden. Also sammelt man Streit-Erfahrung besser im Ausland. Sie sehen mich also hier als hellhörige Gerichtsreporterin, in einem Berliner Gerichtssaal, Moleskin-Notizbuch auf den Knien, Bleistift im Anschlag, auf der Jagd nach deftigen Wortwechseln. M. hatte es gewagt, die 1. Klasse zu klagen, ein Opernhaus samt Star-Regisseur. Der hatte ihr einen Bühnenbild-Job angeboten, aber als ihr Modell fertig war, hat er sich's anders überlegt und sich lieber das Bühnenbild-Honorar selbst überwiesen. Leider hatte man versäumt, Verträge zu schließen, man kannte sich schließlich lange, und es war eilig mit dem Modell gewesen. Und wenn die 2. Klasse schon Tag und Nacht baut, tüftelt und Licht setzt, kann man ihr nicht mit Verträgen auf den Nerv gehen. M. fühlte sich schlecht behandelt, weil auch noch ihre Modell-Fotos gedruckt wurden und weit und breit kein Name von ihr, und gegen solche Erniedrigungen gibt es nur einen heilsamen Balsam: Geld!

Streit vor Gericht ist hoch ritualisiert, man begrüßt sich freundlich, tut entspannt, und streiten tun Anwälte. Je besser ein Anwalt Urheberrecht in Geld ummünzen kann, desto mehr Kunst hängt in seiner Kanzlei, und deshalb tummeln sich in Städten mit Landgerichten immer ganz viele Künstler. So auch in Berlin. Die Opern-Partei erschien zu fünft, so wurde die Verhandlung genauso langweilig wie die Inszenierungen des Star-Regisseurs. Der Richter schlug vor, dass sich die Parteien "verglichen". Wie kann sich die 1. Klasse mit der 2. vergleichen? Eigentlich nicht wirklich, oder?

In einer Verhandlungspause geriet ich in den Fall einer Krimiautorin, deren Name in einer Zeitschrift verwechselt wurde. Die Zeitschrift hat das zwar berichtigt, aber die mit allen Verbrechen vertraute Autorin klagte weiter, wegen "Marktverzerrung" - eine Schmach, die nur mit Blut abgewaschen werden kann. Oder mit Geld. Jedenfalls, 2. Klasse gegen 1. Klasse - ich sag bloß: üben, üben, üben. Ihre Cosima Reif, Zufallskolumnistin (Der Standard/rondo/3/6/2005)