Carol Christian Poell ist ein Phantom der Modewelt, seine Modeschauen sind Kunstprojekte.

Foto: MAK

Mal lässt er die Models buchstäblich den Bach runtetgehen, mal sperrt er sie in Hundezwinger.

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In Mailand gehen die Wellen hoch. Der Webstuhl steht, und Carol Christian Poell ist in Wien. Wieder eine Tag, an dem die Produktion der neuen Kollektion verschoben werden muss, wieder ein Tag, an dem die Kunden vertröstet werden müssen.

Das werden sie bei diesem Designer oft. Carol Christian Poell, das ist nicht irgendein Modemacher, keiner der brav Sommer- auf Winterkollektion folgen lässt. Poell ist ein Phantom in der Modewelt, und genau das ist der Grund, warum viele seine Kreationen so abgöttisch lieben. Von einem "Kult-Label" schrieb die International Herald Tribune erst vor Kurzem und bezeichnete Poell gar als Genie. Eines, das in der Ökonomie der Mode-Aufmerksamkeit eine ganz eigene Rolle spielt.

Kaum jemand, der diesen Mann wirklich kennt

Sieht Poell eine Kamera, dann sucht er das Weite. "Ich will mir meinen Freiraum schaffen", sagt er, und dazu gehört auch, dass er sich nicht fotografieren lässt. "Warum auch? Es geht doch nicht um mich." Die Personality-verliebte Modewelt sieht das naturgemäß anders.

Nur langsam taut Carol Christian Poell auf, wenn man ihn trifft. Über eins neunzig misst der hagere Mann, die glatten schwarzen Haare hat er hinten zusammengebunden, ein Silberzahn blitzt aus seinem Mund. Sehr nachlässig, sehr unprätentiös ist er gekleidet. 1966 wurde er in Linz geboren, er lernt u. a. an der Modeschule Michelbeuern in Wien sein Handwerkszeug, ab Ende der Achtziger lebt Poell dann in Mailand.

Hier hat er 1994 seine erste Kollektion erarbeitet, eine Männerkollektion war das, genauso wie die Mehrzahl der rund 20 Kollektionen seither. Einen "Handwerksbetrieb" nennt er das kleine Unternehmen, das er hier (zusammen mit Sergio Simone) betreibt, mit nur drei, maximal vier Mitarbeitern. "Es ist alles sehr privat, sehr persönlich, was wir machen", erklärt Poell, und - so lässt sich hinzufügen - es ist auch sehr mutig.

Es ist der handwerkliche Schliff, der an Poell so verblüfft

Kein Teil verlässt seine Werkstatt, an das er nicht selbst Hand angelegt hätte. Mit seiner radikalen Materialwahl, seinen futuristischen Materialinnovationen löst er dagegen nicht selten Diskussionen aus. Als er für eine Damenkollektion Leder mit Ochsenblut färbte, fanden das manche gar nicht adäquat, genauso wenig wie damals, als er Menschenhaar zu Stoffen verarbeitete. "Warum soll ich nicht auch Human Resources verwenden", fragt sich Poell und weiß ganz genau um die Gründe, die dagegen sprechen. "Trotzdem: Es geht mir um Recherchen medizinischer, wissenschaftlicher Natur." Schweinedärme hat Poell bereits zu Pullovern verarbeitet, Stiefel mit Pferdehuf-Absätzen beschlagen, Känguruleder so lange bearbeitet, bis es als Stretch verwendet werden konnte. "Ich verbringe viel Zeit in den Schlachthöfen. Ich mag die Stimmung dort."

Das Gefühl, das ist es, das bei Poell an oberster Stelle steht - auch wenn man ihn mühelos als einen konzeptionell arbeitenden Modemacher bezeichnen könnte. Das verdeutlichen am allerbesten seine Schauen, die meist nur für einige Eingeweihte bestimmt sind und von denen jetzt das Wiener MAK einen starken Eindruck gibt. Im ehemaligen Munitionsraum des Gefechtsturms Arenbergpark kriegt der Besucher im Rahmen einer Installation derzeit drei Kollektionspräsentationen zu sehen. Die Aufsehen erregendste war jene, als in einem Kanal in Mailand die Frühjahr-/ Sommer-Mode 2004 präsentiert wurde. In einem Kanal, das ist in diesem Fall durchaus wörtlich zu nehmen: Wie Leichen trieben die Models plötzlich bei den ahnungslosen Neugierigen vorbei, die Mode ging sozusagen den Bach runter - eine Aussage, die Poell genauso intendierte.

"Ich bin in einem Dauerkonflikt mit dem Modesystem"

... sagt der Designer selbst, "Individualität ist in der gleichgeschalteten Modewelt nicht gefragt." Warum er dann aber diesen Beruf gewählt habe? Für einen Moment schaut Poell ein bisschen hilflos drein. "Ich hatte keine andere Wahl", sagt er dann, und: "Die Mode interessiert mich einfach zu sehr". Dafür nimmt er auch die Härten des Geschäfts in Kauf. "So wie ich arbeite, bin ich finanziell beständig mit einem Bein im Grab."

Überleben kann Poell in erster Linie aufgrund seiner treuen Fangemeinde. Knappe 30 Läden verkaufen weltweit seine Kollektionen, von Los Angeles bis Tokio durchaus nur erste Adressen (in Österreich etwa Chegini, Plankengasse 4, in Wien). Allesamt gewachsene Beziehungen. Bringt der Designer einmal keine neue Kollektion auf den Markt - wie zum Beispiel in dieser Herbst-/ Wintersaison -, dann warten die Shops einfach ab. Irgendwann, wissen sie, wird Carol Christian Poell wieder eine Kollektion fertig haben. Und darauf lohnt es sich zu warten. (Stephan Hilpold/Der Standard/rondo/10706/2005)