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MRR bei der Entgegennahme des Goethe-Preises 2002

Foto: REUTERS/Ralph Orlowski
Berlin - Nach Ansicht des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki sind "Verrisse" in der Literaturkritik "eine gefährliche Sache". Jede gute Literaturkritik sollte auch eine erzieherische Wirkung auf das Publikum haben, sagte der 85-Jährige am Mittwochabend bei der Vorstellung seiner Biografie mit dem Untertitel "Geschichte eines Lebens" von Uwe Wittstock im Bertelsmann-Haus Unter den Linden in Berlin.

Es habe sich gezeigt, dass manche der "verrissenen" Bücher dadurch erst recht große Aufmerksamkeit und damit viele Leser finden, so Reich-Ranicki. "Man trägt dann also dazu bei, dem Buch, das man ablehnt, viele Leser zu verschaffen."

Weder Apotheker noch Steuerberater

Auf die Frage Wittstocks, wie er es finde, wenn ein Buch von ihm verrissen werde, meinte Reich-Ranicki: "Das finde ich sehr bedauerlich." Er sei schon sehr oft in der Bundesrepublik verrissen worden. "Das Unglück ist ja, dass sich viele der Autoren, die ich verrissen habe, dann revanchieren, übrigens tun das auch jene, die ich ignoriert habe."

Der Kritikerberuf sei gefährlich. "Aber wer sich in die Arena begibt, muss mit dieser Gefahr rechnen. Wer das nicht will - nun ja, Apotheker und Steuerberater sind auch schöne Berufe." Der Satz mancher Autoren übrigens "Ich will lieber intelligent getadelt als dumm gelobt werden" sei verlogen.

Reich-Ranicki bekannte in dem Gespräch auch seine Liebe zum Theater und zeigte sich als großer Bewunderer von Gustaf Gründgens. Gefragt, warum er denn nicht Theaterkritiker geworden sei, sagte Reich-Ranicki: "Niemand hat es mir seinerzeit angeboten, als ich Ende der 50er Jahre nach Deutschland kam. Jede bessere Zeitung hatte einen fest angestellten Theaterkritiker, das war die Kritiker-Elite. Angestellte Literaturkritiker gab es nicht. Bücher wurden damals von den Ehefrauen der Feuilletonchefs besprochen."

Archivmaterial

Wittstock führte für seine Biografie viele Gespräche, außer mit Reich-Ranicki auch mit Freunden und Feinden und recherchierte unter anderem im Marbacher Literaturarchiv, wo das Archiv Reich-Ranickis verwaltet wird. Wittstock stieß unter anderem auf bisher wenig bekannte Dokumente wie den Ende 1944 gestellten Antrag auf Aufnahme in den polnischen Sicherheitsdienst. Der Verlag Blessing spricht von einer "einfühlsamen Annäherung an Reich-Ranickis Leben, an Ruhm, Macht, Liebe, Tragik, Neid, Hass, Angst". Wittstock habe "das Bewundernswerte wie Erschreckende dieser bedeutenden Figur des deutschen Kulturlebens" porträtiert. (APA/dpa)