Edward Upwards "Reise an die Grenze", erstmals ins Deutsche übertragen: Eine Entdeckung
Claus Philipp
,
Eine Frau, ein Mann, ein flüchtig erwogener Plan: "Zwei Leute können doch für ein paar Wochen zusammen wegfahren, ohne sich lebenslänglich zu binden." "Ein paar Wochen sind eine lange Zeit. Wir kommen uns vielleicht näher, als wir gedacht haben." "Dann ein paar Tage." "Ich weiß nicht." "Oder eine einzige Nacht." Ein Dialog wie bei Godard.
Weekend
oder
Le Mépris
mögen einem einfallen, wenn man Edward Upwards Roman
Reise an die Grenze
liest, so präsent und zugleich Kader für Kader analytisch zerlegt, abstrakt ist der Unwille, der sich hier Seite für Seite virulent ausbreitet, bis er die Blicke auf Menschen und Landschaften vielfach bricht, die Konversationen infiziert, hinter vernünftigen Ansagen Abgründe aufreißt.
Tatsächlich ist diese Reise Bestandteil einer Nouvelle Vague, im Umfeld gesellschaftlicher Umschichtungen, technischer Revolutionen, Vorahnungen kommender Kriegsgräuel - und zwar im ländlichen England der späten 30er-Jahre, in denen Großbürger sich in behaglichem Leerlauf aristokratische Allüren leisten. Hauslehrer etwa, und einer dieser Hauslehrer, der spürt, dass nichts mehr an seinem richtigen Platz ist, also verrückt werden muss - er übt sich plötzlich in einem "verrückten" Blick. Dabei brodelt dann hinter alltäglichen Verrichtungen die Wut, die unwillig angetretene Fahrt zu einem Pferderennen wird zum Wahrnehmungsexperiment: "Hören war, wie Sehen, nur eine Übung, ein Ornament." Aus jedem der Gespräche, die der Hauslehrer quasi aus dem Grenzbereich heraus führt, spricht lauernde Ungeduld. "Sie war ganz ernst. Aber er empfand keine Begeisterung mehr für sie."
1938 ist dieser Roman des heute 101-jährigen Edward Upward in England erstmals erschienen, auf Empfehlung von Christopher Isherwood in der Hogarth Press von Leonard und Virginia Woolf. Heute, wenn er im aktuellen Programm der Bibliothek Suhrkamp, versehen mit einem Nachwort von Elfriede Jelinek, aufblitzt - da kommt schon eine Ahnung auf, was allein an Schätzen der Literatur des 20. Jahrhunderts für den deutschen Sprachraum noch zu heben und zu bergen wäre. Ford Madox Fords'
Die allertraurigste Geschichte
war zuletzt eine vergleichbar aufrüttelnde Begegnung. Im Fall von Edward Upward hofft man, dass die Übersetzerin Karin Rausch das hiesige Publikum demnächst auch mit seinen Shortstorys und weiteren Romanen vertraut (?) macht.
(DER STANDARD, Printausgabe vom 11./12.6.2005)
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