Brüssel - Auch wenn die EU-Regierungschefs bei ihrem Gipfel keine Einigung auf den langfristigen Haushalt der EU für 2007 bis 2013 erzielten, bricht - rein sachlich betrachtet - noch nicht die Welt zusammen. Denn zum einen sind dies nicht die ersten Finanzverhandlungen, die sich bis in das Jahr vor Inkrafttreten des Budgetrahmens hinziehen. Zum anderen sehen die EU-Verträge "Notpläne" für den Fall vor, dass es auch 2006 noch zu keiner Einigung kommt.

Gleichwohlist ein Scheitern der Finanzverhandlungen ein verheerendes Signal, das die aktuelle Krise der Union wohl verschärfen würde. Experten sehen folgenden Szenarien:

  • In den nächsten sechs Monaten unter britischer Präsidentschaft wird generell kein Kompromiss erwartet, bei dem der milliardenschwere Rabatt der Briten auf ihre EU-Beiträge angetastet werden könnte. Allerdings mutmaßte die Londoner "Times" vergangene Woche, dass die Briten tatsächlich auf Zeit spielen könnten, um unter ihrem Vorsitz selbst einen Vorschlag für die so genannte Finanzielle Vorausschau der EU vorzulegen, der allerdings radikale Einschnitte vor allem bei den Agrarausgaben beinhalten würde.

  • Generell gehen Beobachter in Brüssel davon aus, dass das heikle Thema EU-Finanzen auf der Tagesordnung der österreichischen Präsidentschaft landen wird. Gelingt eine Einigung beim nächsten Frühjahrsgipfel, könnten die Strukturhilfen für die ärmsten Regionen nur noch mit größter Mühe rechtzeitig an die Empfänger ausbezahlt werden. Auch bei den Finanzverhandlungen für 2000 bis 2006 gelang die Einigung erst neun Monate vorher.

  • Zieht sich die Einigung weiter hin, möglicherweise gar in die finnische Präsidentschaft im zweiten Halbjahr 2006, würde sich eine zeitgerechte Auszahlung der Förderungen für ärmere Regionen sicherlich nicht mehr ausgehen. Auch bei den Agrarförderungen, die rund 40 Prozent des EU-Budgets ausmachen und jeweils im Oktober neu zu laufen beginnen, würde die Zeit äußerst knapp werden.

  • Kommt es auch unter österreichischer bzw. finnischer Präsidentschaft - also vor 2007 - zu keiner Einigung, gibt es ebenfalls keinen "haushaltslosen" Zustand. Vorgesehen sind zwei Varianten, die aber beide eine langfristige Planung unmöglich machen würden.

    - Szenario 1: Das aktuelle EU-Budget könnte mit dem Einverständnis des EU-Parlaments jährlich fortgeschrieben werden. Basis wären die Ausgaben im Jahr 2006, angepasst um die durchschnittlichen Steigerungsraten der vorangegangenen Periode (ohne Anpassung für die Erweiterung), jedoch maximal um das erwartete Wachstum des Bruttonationaleinkommens der EU im betreffenden Jahr. Die EU-Kommission hat für 2006 Ausgaben von rund 112 Millionen Euro vorgesehen.

    - Szenario 2: Im Fall, dass sich die Regierungen untereinander oder mit dem Parlament nicht einig werden, kommt Artikel 272 des EU-Vertrags zur Anwendung: Unter diesem Mechanismus wird nur noch zwischen obligatorischen (Agrarförderungen, Pensionen für die Beamten) und nicht-obligatorischen Ausgaben (darunter die Strukturförderungen) unterschieden. Für die nicht-obligatorischen Ausgaben wird jedes Jahr zwischen der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten ein Prozentsatz festgelegt. Ausschlaggebend sind die Wirtschaftsentwicklung, die Haushaltspläne der Mitgliedstaaten und die Inflation. (APA)