Der deutsche Außenminister Joschka Fischer hat leider Recht behalten: "Das kann so nicht funktionieren", bemerkte er, als einander fast hundert Regierungschefs und Außenminister auf die Zehen stiegen. Sämtliche EU-Staaten, die künftigen Mitglieder, alle EU-Aspiranten und auch noch eng verbundene Länder waren damals vertreten.

Das war im Dezember 2000, als man sich beim EU-Gipfel in Nizza traf, um eine Vertragsreform zu beraten, die das gute Funktionieren der Gemeinschaft sicherstellen sollte. Man plante auf dem Papier für die Jahrzehnte nach der großen Erweiterungsrunde Richtung Osteuropa, für eine "Weltmacht Europa", die die USA nicht nur wirtschaftlich, sondern auch (sozial)politisch herausfordern sollte - mit effizienten EU-Institutionen, einer starken Volksvertretung im Europäischen Parlament.

Nicht einmal fünf Jahre später lässt sich nüchtern konstatieren: Die Ausdehnung der Union nach Osteuropa wie auch die Schaffung eines offenen Binnenmarktes wurden in beeindruckender Weise umgesetzt.

Die Integrationisten haben verloren

Aber das politische Europa - der Versuch, die Bereiche der inneren Sicherheit und Kriminalitätsbekämpfung, der Außenpolitik und in Ansätzen auch der Sozialpolitik aus der nationalen Umklammerung zu lösen, sie in die Union einzubringen, um sie zu stärken - ist kläglich gescheitert. Fischer lässt grüßen.

Zugespitzt könnte man sagen: Jene Länder (mit Großbritannien an der Spitze), die von Europa immer schon nicht viel mehr wollten als nur den Markt, haben - zumindest vorläufig - gewonnen. Das Integrationistenlager (besonders der Gründungsstaaten um Benelux, Deutschland, Frankreich) hat verloren.

Die nun beim Brüsseler Gipfel selbst verordnete "Phase der Reflexion", um über die künftige Politik "von Grund auf" nachzudenken, wie die EU-Chefs das nannten, steht dafür wie ein perfektes Symbol. Es bedeutet: Wir wissen nicht weiter, wir müssen auf Zeit spielen, wir haben gewaltige Fehler gemacht. Die EU-"Verfassung" ist auf Jahre tot: Frankreich und die Niederlande haben deutlich gemacht, dass es eine neue Volksabstimmung vor den Wahlen Mitte 2007 nicht geben wird.

Das Einfrieren des Ratifizierungsprozesses dieser EU-Verfassung ist ohnehin nur der Spezialfall eines größeren Vorgangs: Nicht nur das ehrgeizige Verfassungsprojekt steht auf dem Spiel. Es geht inzwischen ums Ganze. Die Europäische Union als solche hat sich eine "Auszeit" erbeten. Politisch wird und kann daher in den nächsten Jahren nicht viel weitergehen.

Es geht um politische Konzepte

Und so ist es auch nur logisch, wenn man sich beim EU-Budget, das nichts anderes als in Zahlen gegossene Politik ist, so grundsätzlich in die Haare geriet: Es geht nicht nur um Geld, es wird um ganze politische Konzepte gerungen.

Auffällig dabei: Nur ganz wenige wohlhabende Länder wollen mehr für Europa ausgeben, die meisten knausern bis zum Gehtnichtmehr.

Wie soll sich Europa in dieser Lage weiterentwickeln? Es scheint, dass wir erst am Anfang einer tiefen Krise stehen. Der Hauptgrund dafür ist die politische Führungsschwäche in Schlüsselländern, die jetzt das Steuer herumreißen müssten, wie auch in der EU-Kommission. Da wie dort regieren Ideenlosigkeit und Mutlosigkeit.

Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hat eingeräumt, was der größte Fehler seit Nizza gewesen ist: Man habe verabsäumt, den Bürgern in Europa klar zu machen, dass die Antwort auf die negativen Folgen der Globalisierung eben in einem gemeinsamen Europa liegt, nicht in den kleinen Nationalstaaten.

Die Union wirkt ausgebrannt

Das wirkte wie ein sentimentales Schuldeingeständnis eines scheidenden Staatsmannes, der durch das Zücken der nationalen Karte selbst oft und viel dazu beigetragen hat, die EU-Institutionen, die Glaubwürdigkeit der Union zu beschädigen.

Frankreichs Jacques Chirac stand dem nicht nach, wie Silvio Berlusconi in Italien, ein schwächelnder Tony Blair in London und so weiter. So wie diese persönlich wirkt die ganze Union ausgebrannt. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18./19.6.2005)