Brüssel - Angesichts der aktuellen Krise in der Europäischen Union sieht der Fraktionschef der EU-Sozialdemokraten (SPE), MArtin Schulz, im Europaparlament die Voraussetzungen für die Erweiterung nicht mehr gegeben. "Als Konsequenz kann man wohl sagen, dass die Erweiterung ohne Verfassung nicht wie vorgesehen weiterlaufen kann", sagte Schulz am Dienstag bei einer Pressekonferenz in Brüssel. Bisher hatte vor allem Konservative im EU-Parlament einen Aufnahmestopp für neue Mitglieder verlangt.

Logischer Schluss

Der Ruf nach einem Erweiterungsstopp sei "nur logisch schlüssig", nachdem die Ratifizierung der EU-Verfassung bisher gescheitert sei und der geltende EU-Vertrag von Nizza als unzureichend für die Aufnahme neuer Mitglieder gelte, sagte Schulz. Die SPE-Fraktion werde nach dem Fortschrittsbericht der EU-Kommission im Herbst über eine Verschiebung der für 2007 vorgesehenen Beitritte von Rumänien und Bulgarien beraten.

Zu dem vorgesehenen Start der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei am 3. Oktober, sagte Schulz: "Niemand stellt das in Frage im (EU-Minister-)Rat." Er habe aber den Eindruck, dass "es sehr lange dauern wird. Und ich habe auch den Eindruck dass die Dinge in der Türkei sich auch noch nicht klar darstellen. Man weiß noch nicht genau, in welche Richtung es in der Türkei gehen soll."

Verstärkter Dialog

Schulz plädierte angesichts der EU-Krise für einen verstärkten Dialog mit der Zivilgesellschaft in allen 25 Mitgliedstaaten. In einer gemeinsamen Aktion sollten das EU-Parlament und die Kommission mit den nationalen Regierungen und Parlamenten während der vereinbarten einjährigen Denkpause zur EU-Verfassung "Bürgerforen" einrichten, um über die künftigen Aufgaben Europas zu diskutieren.

Forderungskatalog/b>

In einem Brief an den künftigen EU-Ratsvorsitzenden und britischen Premier Tony Blair, EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso und EU-Parlamentspräsident Josep Borrell fordert Schulz zudem eine Abschwächung der umstrittenen EU-Richtlinien zu Dienstleistungen und Arbeitszeit. Schulz deutete an, dass Teile der Verfassung in jedem Fall umgesetzt werden müssten. "Der europäische Außenminister soll kommen und muss auch kommen."

Dass die von Blair beim EU-Gipfel ausgelöste Debatte um eine Neuausrichtung der EU-Ausgaben die Union spaltet, glaubt der SPE-Fraktionschef nicht. "Selbst wenn er es wollte, würde es ihm nicht gelingen." Blair könne seine Vorstellungen zur Zukunft Europas äußern, diese seien jedoch "nicht die einzigen". Insbesondere das erfolglose Kompromissangebot der neuen Mitgliedstaaten in der Schlussphase des Gipfels habe "das andere Europa", das für Solidarität stehe, enger zusammenrücken lassen. (APA)