Auch als Buch: Die besten Stadtgeschichten aus dem Stadtgeschichten - Archiv - zum Wiederlesen & Weiterschenken. "Wiener Stadtgeschichten" mit Illustrationen von Andrea Satrapa-Binder, Echomedia Verlag Ges.m.b.H., ISBN 3-901761-29-2, 14,90 Euro.

Da war noch was. Letzten Samstag. Und einer der Luftgitarreros hat sich gerade bitter beschwert: Ich hätte ihm nämlich versprochen, die Sache zu thematisieren – aber dann seien da bloß doofe Fotos zu sehen gewesen. Fotos, die jedweder jugendkuturell gerechtfertigten Torheit die Absolution erteilen würden.

Er habe, meint der Gitarrero der Lüfte, nämlich beim Anblick seiner selbst mit keiner Gitarre in der Hand auf der Bühne des Reigens einen kleinen Schreck bekommen. Das, meint er, sei aber nicht weiter schlimm. Aber seine Mutter – irgendwer habe der guten Frau das ausgedruckte Foto unter die Nase gehalten ­ sei fast in Ohnmacht gefallen: Sie habe seine Handhaltung zunächst deftig missinterpretiert. Aber auch die Rechtfertigung („Mama, ich wäre fast Staatsmeister im Luftgitarrespielen geworden“), seufzt der Karaoke-Rocker, habe nicht dazu beigetragen, dass Muttern sich in ihren Träumen, der Sohn würde dereinst zumindest einen Chemienobelpreis für die Rettung der Welt heimbringen, bestätigt gefühlt habe.

Ekligster Ort

Und auch wenn das seine Mutter nicht trösten würde, setzte der junge Mann fort, sei ich ihm jetzt dennoch in der Pflicht – und müsse das Pissoir geisseln. Weil wir uns da ja einig gewesen seien: Das Pissoir im Reigen sei der mit Abstand ekligste Pinkelort, an dem wir je gewesen seien. Und wir hätten doch alle wirklich schon an manch seltsamen Platz Wasser abgelassen. Und nicht einmal der Umstand, dass diese Antithese auf Körperkultur und Hygiene dazu geführt hab, dass Männer am Klo ihr Schweigen brächen, könne rechtfertigen, was uns hier zugestoßen war.

Obwohl die Idee mit dem Gitter im Grunde ja nur die logische Antwort darauf ist, dass Männer ­ freilich immer nur die Anderen – prinzipiell daneben pinkeln. Und zwar nicht nur daheim, sondern auch dann, wenn es nichts zum Danebenzielen gibt: kein Keramikdingsbums mit oder ohne den zielerischen Ehrgeiz befügelnden, aufgemalten Objekten (egal wie geschmackvoll oder geschmacklos die nun wären), sondern einfach eine Nirosta-Wanne am Boden, deren Rückwand bis in Schulterhöhe gezogen ist.

Gitter

Dass man sogar neben so ein Ding pinkeln kann, weiß wer es je benutzt hat: Irgendein Idiot schifft immer davor – und ab dann wird aus der sicheren Übung ein Weitpisswettbewerb. Im Reigen löste man dieses Problem mit einem Gitter. Und zwar einem, das den ganzen Boden der Toilette bedeckt. Und darunter ... aber so genau muss man das nun auch wieder nicht beschreiben.

Die Haken an der Sache heißen aber Alkohol, Gedränge und Skater-Cargohosen. Oder wie auch immer Beinkleider genannt werden, deren Unterkante ein bisserl am Boden schleifen. Oder die Bänder haben. Im Reigen jedenfalls standen der Gitarrero und ich – männlich schweigsam – an der Traufe, als hinter uns einer mitten im Raum die Hose öffnete: Er habe es eilig – und da eh alles unter ihm wegflösse, sähe er keinen Grund, das jetzt nicht zu tun.

Randpinkler

Dann kam der erste Bub mit der Skaterhose. Und aus Angst um die Unversehrtheit seiner Hosenbeinunterkante pinkelte er vom Rand des Gitters aus. Der Gitarrist und ich mussten warten, bis er fertig war – erst dann konnten wir den Rost verlassen. Und auch wenn wir beide einen großen Schritt machten, wollten wir gar nicht wissen, was wir da wohl alles mit in den Saal schleiften.

Er habe sich, gestand mir der Gitarrist aber heute, vermutlich schon gerächt: Einer ebenjener Knaben, die da aus der Distanz gepinkelt hatten, sei während seines Auftrittes ständig mit dem Kopf und dem Oberkörper über die Bühne „geschrubbt“. Und es habe ihm, dem Luftgitarristen, fast ein wenig Genugtuung verschafft, daran zu glauben, dass er da zumindest einem Falschpisser ein bisserl etwas zurückgegeben haben könnte.