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derStandard.at: Wie hoch kann der Ölpreis noch steigen? Ist ein Ende in Sicht?

Johannes Benigni: Wir erleben momentan eine historisch einzigartige Situation. Auf der einen Seite steigt die Öl-Nachfrage weltweit dramatisch an. Wir erwarten, dass die Nachfrage 2005 um beinahe 2.5 Prozent auf etwa 84.36 Millionen b/d (Barrel pro Tag) zunehmen wird.

In den kommenden Jahren wird das Wachstum etwas nachlassen, aber dennoch über 1.5% jährlich betragen. Der Zuwachs ist regional unterschiedlich, die stärkste Nachfrage kommt sicherlich aus Asien, wo vor allem China und Indien begierig alle vorhandenen Angebotsmengen aufkaufen.

Auf der anderen Seite stößt die globale Produktion an ihre Grenzen. Praktisch alle ölproduzierenden Länder haben ihren Output auf ein Maximum hinaufgeschraubt. Außer Saudi-Arabien kann kurzfristig kein Land signifikant mehr Öl produzieren, und auch dort ist es schwer zu sagen, wie groß die Reserveproduktionskapazität ist.

Die Frage, wie hoch der Ölpreis noch steigen kann, kann daher schwer beantwortet werden, da bei so einer knappen Reservekapazität der Ausfall eines einzigen Produzenten gröbere Engpässe nach sich ziehen könnte. In den nächsten Monaten sind Preise über 60 US-Dollar pro Barrel sicherlich möglich, die 100-Dollar-Grenze sollte aber nicht so schnell ereicht werden, wenn kein großer Produzent ausfällt.

Schlussendlich treiben vor allem die Engpässe in den Raffinerien die Preise hoch. In der Vergangenheit wurde nicht genug in den Kapazitätsausbau investiert. Selbst wenn also das Rohölangebot jetzt plötzlich steigen würde, würde sich an der grundsätzlichen Situation sich nicht ändern, da die zusätzlichen Inputs nicht ohne weiteres verarbeitet werden könnten.

Allerdings sollte man die jetzige Preissituation nicht überbewerten. Der reale Preis für Rohöl war schon signifikant höher, und verglichen mit weitaus einfacheren Produkten ist Öl sogar billig. Mineralwasser oder Orangensaft benötigen keine millardenschweren Produktionsstätten, sind aber dennoch teurer.

derStandard.at: Wie lange reichen die weltweiten Ölreserven, wenn die Förderquoten weiter steigen bzw. gleich bleiben?

Benigni: Die Höhe der globalen Reserven ist höchst umstritten und hängt von vielen Faktoren ab. Tatsache ist, dass zum jetzigen Zeitpunkt die uns bekannten Reserven auf einem historischen Höhepunkt sind. Außerdem macht die Technik ständig Fortschritte und Produzenten können jetzt an bisher unerreichbare Rohölquellen herankommen.

Andererseits kann niemand seriös abschätzen, wie sich die globale Nachfrage entwickeln wird. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass ab einer gewissen Schmerzgrenze die Nachfrage nachlässt, so zum Beispiel in den USA Anfang der 80-er Jahre.

derStandard.at: Was ist von der Theorie des "Peak Oil" zu halten?

Benigni: Peak Oil bezeichnet jenen Zeitpunkt, an dem die nachgefragte Menge die neu entdeckten Reserven übersteigt. Die "Peak Oil" Ängste werden schon seit Jahrzehnten lanciert. Anfang der 70-er Jahre dachte man, dass die Produktion spätestens bis zum Jahr 2000 sinken würde, und bei jedem neuen Preisanstieg wird diese Diskussion reanimiert.

Im Grunde stimmt die Problematik, da es sich beim Rohöl um eine enden wollende Ressource handelt. Da kein neues Öl entsteht, muss bei einer stetig steigenden Produktion irgendwann der Punkt erreicht werden, wo die nachgefragte Menge jene der zusätzlich gefundenen Mengen übersteigt und man ab dann quasi die Reserven rasch abbauen wird.

Dies, gepaart mit ständig steigender Nachfrage, führt zu der Notwendigkeit, mit den Ressourcen verantwortungsvoll umzugehen, aber auch alternative Energien zu fördern. In der Nordsee wurde der Höhepunkt der Ölförderung bereits vor ein paar Jahren erreicht, in den USA schon Anfang der 70er Jahre.

Allerdings werden dennoch auf der ganzen Welt immer wieder neue Ölquellen entdeckt, die ab einem gewissen Preisniveau gewinnbringend ausgebeutet werden können, wie etwa der ölhaltige Sand in Kanada oder Ölvorkommen tief unter dem Meeresgrund.

derStandard.at: Wann wird der Energiehunger Chinas einigermaßen gestillt sein?

Benigni: Die Ölnachfrage in China hat zweifellos in den vergangenen Jahren sehr stark zugenommen, ähnlich wie auch das chinesische Wirtschaftswachstum. Doch die Zahlen sind in erster Linie deswegen so beeindruckend, weil China das bevölkerungreichste Land der Welt ist.

In den kommenden Jahren sollte jedoch eine Normalisierung stattfinden, mit Zuwachsraten unter 5% ab 2008. Allerdings sind die Marktkräfte in China, wie auch in vielen anderen asiatischen Ländern, etwas unberechenbar, da die Politik stark regulierend eingreift. Durch Preiskontrollen und Subventionen wird der Preis für Konsumenten zumeist künstlich niedrig gehalten. Treffen regulierende Kräfte und Marktkräfte aufeinander kann das mitunter zu Versorgungsengpässen führen. Diese Übergangsphase wird in den nächsten Jahren anhalten.

derStandard.at: Europäische Raffinerien können mittlerweile Öl mit schlechterer Qualität verarbeiten als etwa Raffinerien in Asien. Wird sich dies mittelfristig auch in den Preisen für Ölprodukte niederschlagen?

Benigni: Die Raffinerien in Europa und noch mehr in den USA können schon seit jeher Öl mit schlechterer Qualität verarbeiten. In Asien, aber auch im Mittleren Osten, werden Raffinerien neu errichtet, erweitert oder erneuert, um auf dem aktuellen Stand der Technik gebracht zu werden. Zusätzlich wird in neue Kapazitäten investiert, was in den nächsten Jahren zu einer Entspannung auf dem Markt für Erdölprodukte führen sollte.

Prinzipiell handelt es sich beim Ölmarkt um den klassischen globalen Markt, welcher sich durch einen globalen Preis auszeichnet. Relative Vorteile in regionalen Märkten und internationale Arbitrageströme (Zukauf aus anderen Regionen, Anm.) kennzeichnen diesen Markt. Die Konsumenten dürften von relativen Preisunterschieden in verschiedenen Märkten wenig merken, da ständig Angebotsmengen arbitiriert werden.