Wien - Ärzte, die Hunger streikende Schubhäftlinge nach der neuen Regelung einer Zwangsernäherung unterziehen, könnten mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten bestraft werden. Auf den betreffenden Paragrafen 110 des Strafgesetzbuches verwies der Linzer Strafrechtler Herbert Wegscheider. Er kritisierte am Dienstag im ORF-"Morgenjournal" die "vage Sprache", die bei der geplanten Änderung des Fremdenpolizeigesetzes verwendet wird. Dies sei "wirklich unfair gegenüber dem Anwender".

Par. 110 StGB regelt, dass jemand, der einen anderen ohne dessen Einwilligung behandelt, mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten zu bestrafen ist. Ein Arzt könnte also entsprechend dieser weiterhin gültigen Rechtslage bei Anwendung der Zwangsernährung auf Verlangen eines Schubhäftling bestraft werden.

In Erläuterungen versteckt

Scharf kritisiert Wegscheider die geplante technische Vorgangsweise in Sachen Zwangsernährung für Schubhäftlinge. Im Gesetzestext - Par. 78 Fremdenpolizeigesetz - geht es lediglich um die Unterbringung in medizinischen Abteilung der Gefangenenhäuser bzw. die Überstellung in ein Krankenhaus. Nur in den Erläuterungen wird von einer Unterbringung zur unbedingt erforderlichen Heilbehandlung nach den Kautelen des Strafvollzugsgesetzes gesprochen. In diesem findet sich im Par. 69 die Möglichkeit der Zwangsernäherung von Strafhäftlingen.

"Nein, so nicht", kritisiert Wegscheider diese Vorgangsweise. Dem Gesetzgeber sei "der Vorwurf zu machen, dass er nicht klar ausspricht, was eigentlich gewollt ist". Die Möglichkeit der Zwangsernährung von Schubhäftlingen "irgendwie im gesetzlichen Beipacktext mitzuliefern" sei rechtstechnisch zu wenig. Wenn man das Verbot für den Sonderfall des Schubhäftlings aufheben wolle, müsse man das auch ganz deutlich im Gesetzestext tun.

Schick: Gesetzestechnik "reine Augenauswischerei"

Auch der Grazer Strafrechtler Peter Schick steht der in Sachen Zwangsernährung angewandten Gesetzgebungstechnik kritisch gegenüber. Im Fremdenpolizeigesetz auf einen Paragrafen des Verwaltungsstrafgesetzes zu verweisen, in dem dann auf das Strafvollzugsgesetz - und nur indirekt auf den Zwangsernährungs-Paragrafen - verwiesen wird, sei "reine Augenauswischerei", sagte Schick Dienstag gegenüber der APA.

Im Begutachtungsentwurf vom März wurde (im Par. 82) noch explizit festgehalten, dass für den Vollzug der Schubhaft der Par. 69 Strafvollzugsgesetz "Zwangsuntersuchung, Zwangsbehandlung und Zwangsernährung" sinngemäß anzuwenden ist. Mit den politischen Verhandlungen hat sich das allerdings verändert: In der jetzigen Vorlage heißt es im Par. 79 nur mehr dezent, dass "für die Anhaltung in gerichtlichen Gefangenenhäusern und Strafvollzugsanstalten Par. 53d VStG" gilt.

Aber nicht einmal in diesem Par. 53d ist der Zwangsernährungs-Paragraf 69 ausdrücklich angeführt. Dort heißt es nur, dass für den Vollzug in gerichtlichen Gefangenenhäusern oder Strafvollzugsanstalten die Bestimmungen des Strafvollzugsgesetzes anzuwenden sind - mit einigen aufgezählten Ausnahmen. Unter diesen findet sich der Par. 69 nicht - er ist also anzuwenden. Womit die Zwangsernährung auch bei Schubhaft anwendbar ist, wie Schick erklärte.

Dieser Verweis genüge ihm allerdings nicht: "Das ist mir zu wenig. Ein Eingriff in die körperliche Sphäre ist ein so intensiver Eingriff in ein Grundrecht, dass ich unbedingt einen expliziten Gesetzesvorbehalt schaffen würde, um einen solchen Eingriff zu rechtfertigen." Werden Grundrechte teilweise nicht angewandt - z.B. bei der Freiheitsstrafe -, dann gibt es in der Regel so genannte Gesetzesvorbehalte, in denen steht, unter welchen Bedingungen der Eingriff in das Grundrecht erlaubt ist.

"Par. 53d schließt gewisse Bestimmungen aus beim Vollzug der Schubhaft, der Par. 69 ist nicht dabei. Daraus zu schließen, dass der Par. 69 für die Schubhaft gilt, ist mir zu kompliziert", meinte Schick. Es wäre "schöner gewesen, wenn dieser Gesetzesvorbehalt auch im Originalgesetz, also im Fremdenpolizeigesetz, drinnen steht, wie im alten Entwurf".

Das hätte man seiner Meinung nach durchaus auch machen können - denn: Die Möglichkeit zur Zwangsernährung von Strafhäftlingen gebe es seit 35 Jahren und sie sei noch nie angewandt worden. "Das wirkt als Drohung gegenüber den Schubhäftlingen, ihr braucht den Hungerstreik nicht zu probieren." Es wäre also eher eine Präventivmaßnahme. (APA)