Lettische Schüler in österreich, Ilze Motivane und Oskars Gertners.

Foto: Schülerstandard
Als ich nach Wien gekommen bin, habe nicht gewusst, was mich erwartet. Ich war sehr überrascht, wie anders es in dieser Schule zugeht. Alle sind immer laut, schreien durcheinander, die Kleinen haben überhaupt keinen Respekt vor den Größeren, die Mädchen sind anders als in Riga und die Lehrer fallen dabei gar nicht auf.

Ich konnte kaum mit den anderen reden, weil ich noch viel Deutsch lernen musste. Deshalb habe ich mich in den ersten Wochen sehr ruhig verhalten. Für mich war das gut, aber die anderen Schüler haben mich nicht ernst genommen. Ich musste versuchen, mit ihnen in Kontakt zu treten. Im Internat war das schwierig: Außer mir besuchte es nur ein Klassenkollege.

Dann haben sie in der Klasse begonnen, Tischfußball zu spielen. Gott sei Dank, denn da konnte ich mitmachen. Überhaupt habe ich viel Fußball gespielt. Im Theresianum ist das ein wichtiger Sport und wenn man im Internat wohnt, braucht man die Abwechslung. Donnerstags gab es immer ein Match. Man konnte auch schwimmen, Tennis und Beachvolleyball spielen.

Nach den Herbstferien ist alles besser geworden. Ich hatte zwar wenig Kontakt zu dem anderen lettischen Mädchen, aber zu einigen Mitschülern recht viel. Sie haben nicht immer viel gelernt, waren aber gut gelaunt. Langsam machte sich bei mir das Gefühl breit, dass die meisten Schüler fast so nett und entgegenkommend sind wie in Riga. In einigen Fächern habe ich dann schon gut aufgepasst und mitgemacht. Die Nachmittage waren angenehm. Wenn die anderen lernen mussten, habe ich auch gelernt, ferngeschaut oder Musik gehört. Hin und wieder habe ich mir Ausgang genommen und bin in die Stadt gefahren, was sehr interessant war. Wien hat viele Gebäude, die ähnlich aussehen wie in der Elisabethvorstadt in Riga. Ich war im Museum, in der Oper, in Graz und habe mehrere Bälle besucht. So etwas gibt es in Riga zwar auch, aber das sind andere Zustände. Zuhause war ich nie auf einem Ball.

Gegen Ende ist dann alles zu schnell gegangen. Zu Ostern habe ich erfahren, dass ich im Juni in Riga Prüfungen machen muss und plötzlich ist die Zeit zu kurz geworden. Das eine Jahr war auf jeden Fall zu wenig. Ich weiß zwar jetzt, wie man mit einem österreichischen Mädchen umgeht, aber ich hätte gerne noch mehr in Erfahrung gebracht. (Oskars Gertners/DER STANDARD-Printausgabe, 5.7.2005)